Issue 
(1880) 39
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Kuno Fischer in Heidelberg.

Mit dem nächsten Jahre begannen die Briefe über die neueste Literatur, die Nicolai herausgab, und deren wichtigste Lessing in den Jahren 1759 und 1760 schrieb. In diesen Briefen sollte die deutsche Literatur während des siebenjährigen Krieges besprochen werden; man dachte sich einen verwundeten Offizier im Feldlager, der aus diesem Wege von den geistigen Erlebnissen der Kriegszeit Kunde erhalten sollte. Es war Lessings Gedanke.Wie leicht", sagte er,kann Kleist verwundet werden, so sollen die Briefe an ihn gerichtet sein". Kleist fiel in demselben Jahr bei Kunersdorf und starb den Heldentod, wie er es gewünscht hatte, denn er konnte sich nicht tapfer genug sein.Er wollte sterben", sagte Lessing, von Schmerz erschüttert, wie er den Tod dieses Mannes erfuhr, der zu seinen liebsten Freunden gehörte. Als Kleist in Leipzig die Lazarethe verwalten mußte, während er sich nach der Feldschlacht sehnte, hat ihn Lessing oft mit dem Worte Fenophons getröstet:Die tapfersten Männer sind auch die mitleidigsten". Wenn ich mir Kleists Gemüthsart vergegenwärtige, in der sich der Poet mit dem Helden vereinigte, seine Tapferleit, sein Mitleid, seine Freigebigkeit, die sich auch gegen Lessing bewies, so zweifle ich nicht, daß dem letzteren das Bild dieses Freundes vorschwebte, als er den Charakter Tellheims dichtete.

III.

In dem berühmtesten jener Literatnrbriese, dem siebzehnten, hatte Lessing das nationale, von aller fremdländischen Renaissance freie, echt deutsche Drama gefordert und auf den Faust hingewiesen. Aber die Dichtung, welche diese Aufgabe lösen sollte, mußte sein wie die schicksalsvolle Zeit selbst und gegenwärtig wie der Tag. Mitten unter den Eindrücken des siebenjährigen Krieges, dessen letzte Jahre Lessing in Breslau an der Seite des Generals Tauentzien zubrachte, entstandMinna von Barnhelm"; er dichtete den Entwurf unmittelbar nach dem Frieden von Hubertsburg (15. Februar 1763) an einem heiteren Frühlingsmorgen in einem Breslauer Garten, er hat das Stück in Berlin unter den Augen seines Freundes Ramler ausgesührt und erst im Jahre 1767 veröffentlicht. Wollen wir die ungeheure Umwandlung, die der siebenjährige Krieg in unserer Literatur und Dichtung hervorgebracht hat, an Lessings eigenen Werken erkennen, so ist nichts sprechender und bemerkenswerter, als diese Folge seiner dramatischen Dichtungen: vor dem Ausbruche des Krieges die empfindsame Sara Sampson, während desselben der kriegerische Philotas, nach dem Ausgange Minna von Barnhelm'.

Niemand hat den Einfluß jener gewaltigen Zeit auf unsere Dichtung richtiger und treffender gewürdigt als Goethe im siebenten Buche seiner Lebenserinnerungen.Der erste wahre und eigentliche Lebensgehalt kam durch Friedrich den Großen und die Thaten des siebenjährigen Krieges in die deutsche Poesie. Jede Nationaldichtung muß schal sein oder schal werden, die nicht auf dem Menschlichsten ruht, aus den Ereignissen der Völker