Issue 
(1880) 39
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Heber G. L. Lessing. II.

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und ihrer Hirten, wenn beide für einen Mann stehen".Die Kriegslieder, von Gleim angestimmt, behaupten deswegen einen so hohen Rang unter den deutschen Gedichten, weil sie mit und in der That entsprungen sind und noch überdies, weil an ihnen die glückliche Form, als hätte sie ein Mit­streitender in den höchsten Augenblicken hervorgebracht, uns die vollkommenste Wirksamkeit empfinden läßt".Eines Werkes aber, der wahrsten Aus­geburt des siebenjährigen Krieges, von vollkommen norddeutschem Natioualgehalt, muß ich vor allen ehrenvoll erwähnen: es ist die erste aus dem bedeutenden Leben gegriffene Theaterproduction von specifisch temporärem Inhalt, die deswegen auch eine nie zu berechnende Wirkung that, Minna von Barnhelm".Diese Pro­duction war es, die den Blick in eine höhere, bedeutendere Welt aus der literarischen und bürgerlichen, in welcher sich die Dichtkunst bisher bewegt hatte, glücklich eröfsnete".

Lessing selbst fühlte, daß diese Dichtung seine entscheidende That sei. Ich brenne vor Begierde", schrieb er den 20. August 1764 an Ramler, die letzte Hand an meine Minna von Barnhelm zu legen. Ich habe Ihnen von diesem Lustspiel nichts sagen können, weil es wirklich eins von meinen letzten Projecten ist. Wenn es nicht besser als alle meine bisherigen dramatischen Stücke wird, so bin ich fest entschlossen, mich mit dem Theater gar nicht mehr abzugeben". Zu jenen Kriegsliedern und diesem Lustspiel, die aus der Zeit des siebenjährigen Krieges unmittelbar hervorgegangen sind, möchte ich noch ein Gedicht fügen, eine unserer besten Balladen, deren tragische Er­zählung sich von dem Hintergründe des vollendeten Krieges stimmungsvoll abhebt: Er war mit König Friedrichs Macht gezogen in die Prager Schlacht und hatte nicht geschrieben, ob er gesund geblieben".

IV.

Die Schicksalswechsel der Kriege bewegen nicht blos die Loose der Fürsten, Staaten und Völker, sondern erschüttern auch das Dasein der Einzelnen bis in die kleinsten verborgensten und spurlosen Verhältnisse, die der historischen Forschung nicht mehr bemerkenswertst scheinen; aber gerade in dem Genrebild der Privatgeschicke, die mitten unter den großen Weltver­änderungen erlebt werden, erscheinen die Züge der Zeit in einer so greif­baren und eindringlichen Form, daß der Dichter, der diese Gegenwart dramatisch fassen will, hier eine Menge der fruchtbarsten Motive findet. Der siebenjährige Krieg, der die deutschen Völkerzustände in einen so gewaltigen Aufruhr brachte, griff aus mannichfaltigste Art umgestaltend in das Dasein der Familien und Individuen, und es gingen jähe Lebenswandlungen aus ihm hervor, deren Kunde von Mund zu Mund lief und sich sagenhaft ver­breitete. Man hörte von einer Menge plötzlich emporgestiegener, plötzlich zerstörter Existenzen. In den preußischen Freibataillonen, die nach dem Frieden entlassen wurden, waren tapfere, durch Kriegsthaten ausgezeichnete

Nord und Süd. XIII, 39. 28