Issue 
(1880) 39
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kleb er (8. (L. Lessing. II.

suchen, und bevor sie im Reinen ist, darf Tellheim, durch schriftliches Ehren­wort gebunden, die Hauptstadt nicht verlassen. Er gehört unter die vielen Offiziere, die nach dem Frieden entbehrlich geworden und verabschiedet sind. Eine Schußwunde hat ihm den rechten Arm gelähmt, sein Vermögen ist verloren, feine Ehre gekränkt, die Dienerschaar verschwunden, die den reichen Mann früher umgeben: Kammerdiener, Jäger, Kutscher und Läufer: der erste hat sich mit der Garderobe des Herrn aus dem Staube gemacht; der zweite ist mit dem letzten Reitpferde auf und davon geritten; der Jäger karrt in Spandau, weil er Soldaten zur Desertion verleitet hat, und der Läufer ist als Trommelschläger in ein Garnifonregiment gesteckt worden, weil er den Major betrogen und die nichtswürdigsten Streiche begangen. Nur einer, fein Reitknecht Just, ist ihm treu geblieben. Der tapfere Wachtmeister Paul Werner, der im Kriege ihm zweimal das Leben gerettet, lebt jetzt im Be­sitz eines dörflichen Freiguts in seiner Nähe. Nach so bitteren Erfahrungen erwartet Tellheim in der Verborgenheit eines Berliner Gasthauses den Aus­gang seiner Sache, um so stolzer, je größer sein Elend ist; er hat sich auf seine Art heroisch gefaßt und ohne ein Wort der Klage, ohne ein Zeichen seiner Seelenkämpse dem höchsten Glücke entsagt: den: Besitz seiner Braut.

Jene hochherzige That in Thüringen hatte das Herz eines jungen Mädchens, einer der reichsten Erbinnen des Landes voir edler Abkunft, für Tellheim gewonnen, noch bevor sie ihn kannte. Um den Mann zu sehen, der so großmüthig handeln konnte, geht Minna von Barnhelm unein­geladen in eine Gesellschaft, wo sie ihn findet. Schnell erkennen sich die beiden, durch ihre Denkart verwandten, durch ihre Gemüthsart zur schönsten wechselseitigen Ergänzung bestimmten Naturen. Schicksalsvolle Zeiten steigern die Gefühle und beschleunigen die Entschlüsse. Tellheim ist Minnas Bräu­tigam, als er die thüringischen Quartiere verläßt; das Zeichen ihrer Ver­lobung sind zwei einander völlig gleiche Brillantringe. Sehnsüchtig erwarten beide das Ende des Krieges, um sich ganz gehören zu können; endlich schreibt Tellheim:Es ist Friede, und ich nähere mich der Erfüllung meiner Wünsche". Plötzlich verstummen seine Briefe. Monate lang harrt Minna vergebens aus Nachrichten; dann saßt sie den schnellen und kühnen Entschluß, selbst ihn zu suchen. Begleitet von ihrem Kammermädchen Franziska, ihrer Gespielin und Freundin, und unter dem Schutze ihres Oheims, des Grafen Bruchsall, eines sächsischen, preußenfeindlichen Edelmannes, der während des Krieges in Italien gelebt hat und erst nach dem Frieden zurückgekehrt ist, reist sie nach Berlin, wo sie noch vor dem Grafen eintrifst, den ein kleiner Reiseunfall auf der letzten Station zurückgehalten. Hier führt sie der Zu­fall in dasselbe Gasthaus, wo Tellheim mit seinem Diener Just in ärmlicher Zurückgezogenheit lebt. Der Wirth zumKönig von Spanien" schätzt seine Gäste nur nach dem Gelds, und die vornehme Dame mit Kammermädchen und zwei Dienern ist ihm natürlich mehr Werth, als der Major, der seit -einiger Zeit die Rechnung nicht mehr bezahlt hat. Seine Wohnung wird

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