Issue 
(1880) 39
Page
412
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image

Auno Fischer in Heidelberg.

sofort der Dame eingeräumt und er selbst, abwesend und ungefragt, iir schlechteren Räumen untergebracht. Nach einer solchen Behandlung will Tellheim nicht einen Augenblick länger in dem Gasthause bleiben und läßt, um seine Schuld bezahlen zu können, durch Just sein letztes und theuerstes Gut, den Verlobungsring, verpfänden, der nun in die Hände des Wirths gelangt und dem Fräulein gezeigt wird, die in der Hoffnung, etwas von Tellheim zu erfahren, sich nach dem Offizier erkundigt, der (freiwillig, wie sie glaubt),, ihr sein Zimmer überlassen. Bei dem Anblick des Ringes erkennt Minna, daß jener Offizier Tellheim selbst. Der Bräutigam ist wiedergesunden, das erste Ziel glücklich erreicht, aber bei weitem nicht das letzte.

Jetzt gilt es, den Entschluß Tellheims zu besiegen, der bereit ist, jedes Glück ihr zu opfern, jedes Unglück mit ihr zu theilen, nur nicht das seinige: ein Bettler, ein Krüppel, ein bescholtener an seiner Ehre gekränkter Mann, wie er sei, dürfe nicht daran denken, der Gemahl einer Minna von Barnhelm zu werden! Opfer zu bringen, kostet ihm gar nichts, Opsen anzunehmen ist ihm unmöglich: dazu ist er zu stolz und zu zartfühlend. Vergebens bietet Minna alle, Ueberredungskünst ihrer innigen Liebe, ihrer klaren und heiteren Gemüthsart auf, um seinen Sinn zu ändern, seine Schwermuth zu verscheuchen, ihn zu überzeugen, daß ihr ganzes Glück darin bestehe, sein Unglück zu theilen; daß seine stolze Entsagung ihr Qualen bereite, daß aus gekränktem Ehrgefühl er nicht blos ihr Glück zerstöre,^ sondern auch ihre Ehre verletze. Jedes ihrer Worte rührt ihn tief und läßt ihn seinen Vorsatz bis zur Verzweiflung schmerzlich empfinden, aber nichts vermag den gefaßten Entschluß zu erschüttern. Nur eine günstige Wendung seines Schicksals könnte helfen: nicht die bloße Niederschlagung der Sache, sondern die ehrenvollste Wiederherstellung.

Aber bevor diese Wendung wirklich Antritt, siegt Minna durch List über Tellheims stolze, schwermüthige und verkehrte Entsagung; sie kennt ihn genau und weiß ihn zu lenken. Wäre sie nicht die reiche, vornehme, beneidens- werthe Erbin, sondern arm und verlassen, so würde keine Macht der Welt diesen Mann hindern, ihr Schicksal zu theilen und ihren Besitz als höchstes Gut zu fordern; er würde an der Wahrheit ihrer Liebe irre werden, wenn sie im Unglück seine Hand ablehnen wollte, weil sie es nicht über sich bringen könne, ein so großmüthiges Opfer anzunehmen. Und doch würde die Geliebte nichts anderes thun, als er so eben gethan hat; sie würde gegen ihn nur dieselbe vermeintliche Entsagungspflicht zu üben scheinen, die sein Verhalten ihr gegenüber bestimmt. Eine solche Art der Vergeltung wird zugleich die heilsamste Kur sein. Tellheim kann über seine edel gedachte,, aber falsch empfundene Handlungsweise nicht schneller und gründlicher auf­geklärt werden, als wenn Minna den weiblichen Tellheim spielt. Sie ist nicht mehr die gute Partie, sondern ein armes, von ihrem preußenfeind­lichen Oheim um ihrer Liebe willen enterbtes Mädchen, ein verlaufenes sächsisches Fräulein, das zu ihrem Bräutigam flieht, um in seinen Armen