Issue 
(1880) 39
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- lieber G. L. Lessing. II.-

Diesen Mann schildern heißt Minnas Handlungsweise motiviren. Er soll uns dramatisch geschildert werden: nicht so, daß wir ihn etwa nur von Anderen rühmen und loben hören, sondern so, daß wir als Augenzeugen erfahren, wie er ist und handelt. Und bevor wir ihn selbst sehen, läßt uns der Dichter den einfachen, gleichsam elementaren Eindruck seiner Person in der Seele seines letzten Dieners, einer rohen, unverdorbenen Natur erleben. Dieser Eindruck soll Tellheims dramatischer Vorbote sein und zugleich dem Zuschauer die Situation enthüllen, womit die Handlung beginnt. Der Major ist des Abends vorher von einem Ausgange zurückgekehrt und während seiner Abwesenheit von dem habgierigen Wirth ausquartiert worden; sofort verläßt er das Haus nnd campirt die Nacht, als ob er noch

im Felde wäre, im Freien. Just wartet im Wirthshaussaale die ganze Nacht auf seinen Herrn und möchte am liebsten auch nicht schlafen, er ist außer sich vor Empörung und Mitleid:Meinen Herrn aus dem Hause

stoßen, auf die Straße werfen! Meinen Herrn! so einen Mann, so einen Offizier! Einen Offizier, wie meinen Herrn!" Wie ihn der Schlaf über­mannt, träumt er; sein einziger Gedanke ist Rache an dem niederträchtigen Wirth. Wenn er ihn nur prügeln könnte! Wie er träumt, prügelt er ihn, er knurrt förmlich im Schlaf. Mit diesem Traum des Dieners

eröffnet der Dichter sein Stück, mit diesen Worten des schlafenden Just: Schurke von einem Wirth! Du, uns? Frisch Bruder! Schlage zu Bruder!" Wie er aufwacht, thut es ihm leid, daß der Traum nicht

Wirklichkeit war.Ich mache kein Auge zu, so schlage ich mich mit ihm herum. Hätte er nur erst die Hülste von allen den Schlägen!" Der Wirth kann ihn mit nichts begütigen, er haßt ihn weit mehr, als er selbst mit

nüchternem Magen den besten Danziger liebt; bei jedem Glase, das ihm jener einschenkt, denkt Just nur an seinen Herrn; der Schnaps ist gut,wenn ich heucheln könnte, würde ich für so was heucheln, aber ich kann nicht, es muß raus er ist doch ein Grobian, Herr Wirth!" Dieser treue Mensch, roh und plump, wie er ist, fühlt nur für seinen Herrn; er haßt auch die vornehme Dame, die dem Major das Zimmer genommen hat, er verhält sich zu Tellheim, wie der Pudel, dein er das Leben gerettet, zu ihm: er kann ohne seinen Herrn nicht leben. Drastischer und für die Vorstellung, die wir von Tellheim gewinnen sollen, wirksamer konnte das Stück nicht beginnen.

Während sich Just mit dem Wirthe herumzankt, kommt der Major. Wir sind auf seine Erscheinung vorbereitet und finden sie unsrer Erwartung gemäß: ein solcher Herr, wie Just gesagt hat, ein solcher Offizier! Er gebietet dem Diener Schweigen; kurz und ohne jede Erregung erklärt er dem Wirth, daß er bezahlt werden soll und daß er selbst suchen werde, wo anders unterzukommen. Die 500 Thaler, die ihm der Wachtmeister gebracht mit dem Wunsch, daß er sie brauche, rührt er nicht an; er ist so arm, daß er auch den letzten einzigen Diener nicht mehr bezahlen kann und ihm befiehlt, seine Rechnung zu schreiben.