Auno Fischer in Heidelberg.
Da erscheint die Wittwe eines seiner Kameraden, des Rittmeisters Marloff, dem Tellheim 400 Thaler geliehen, und der sterbend seiner Frau zur Pflicht gemacht hat, diese Schuld zu tilgen. Die Wittwe hat Alles verkauft und bringt das Geld, um die Handschrift einzulösen. Tellheim, selbst im Zustande der größten Noth, erläßt nicht nur die Schuld, sondern verleugnet sie, denn er will der Frau den Dank sparen und weiß, daß Marloff einen Sohn hinterlaffen hat. „Wollen Sie, daß ich die unerzogene Waise meines Freundes bestehlen soll?" Die Wittwe versteht seine Absicht; in den Worten, die sie erwidert, reden die ergreifenden Schicksale des Krieges: „Verzeihen Sie nur, wenn ich noch nicht recht weiß, wie man Wohlthaten annehmen muß". Sie kann dem edlen Manne, der das Vatergefühl micht kennt und in der Seele einer Mutter empfindet, nicht rührender danken: „Woher wissen es denn aber auch Sie, daß eine Mutter mehr für ihren Sohn thut, als sie für ihr eigenes Leben thun würde?" — Wie sie ihn verlassen hat, nimmt Tellheim den Schuldschein aus seiner Brusttasche, um ihn zu vernichten. Dies Alles geschieht auf die natürlichste Art, ohne jede großmüthige Wallung, ohne jedes Aufgebot einer Empfindung, die ihm selbst edel erschiene; anders zu handeln ist bei seiner Art unmöglich. „Armes braves Weib! Ich muß nicht vergessen, den Bettel zu vernichten!" Diese kleine Scene machte auf das Publicum, dem die Schicksale der Soldatenwittwen tausendfach vor Augen standen, einen erschütternden Eindruck. Als Minna von Barnhelm zum ersten Mal in Berlin aufgeführt wurde*), brach in dem vollen Hause ein Sturm des Beifalls aus, wie Tellheim die Worte sagte: „Armes braves Weib!"
Durch die Scene mit der Marloff weicher gestimmt, empfängt Tellheim die geforderte Rechnung, die Just unter Thränen geschrieben. „Haben Sie Barmherzigkeit mit mir, mein Herr; ich weiß wohl, daß die Menschen mit Ihnen keine haben, aber ich hätte mir eher den Tod als meinen Abschied vermuthet". Er soll den Major verlassen, der ihm lauter Wohlthaten erwiesen, alle Kosten seiner Krankheit bezahlt, seinem abgebrannten und geplünderten Vater Geld geliehen und zwei Beutepferde geschenkt hat; er soll Geld von ihm nehmen, während, Alles gerechnet, er vielmehr seinem Herrn noch 91 Thaler 16 Groschen 3 Pfennige schuldet. Der Herr möge ihn nur in feiner Nähe dulden, wie er den Pudel, den er aus dem Wasser gezogen und. der ihm nicht mehr vom Leibe geht. „Er springt vor mir her und macht mir seine Künste unbesohlen vor. Es ist ein häßlicher Pudel, aber ein gar zu guter Hund". Dieses Wort rührt Tellheims Herz, dieser Ausdruck der Treue. „Nein, es giebt keine völligen Unmenschen!" sagt er zu sich und zu dem Diener: „Just, wir bleiben beisammen". Er befiehlt
ihm den Ring zu verpfänden, die Rechnung zu zahlen und seine Sachen in das wohlfeilste Gasthaus, gleichviel welches, zu schaffen; Tellheim selbst denkt
*) Den 21. März 1768; sie mußte zehnmal nach einander wiederholt werden.