Issue 
(1880) 39
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Anno Fischer in Heidelberg.

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nennt, fragt sie nicht nach seinem Elend, sondern nur nach seiner Liebe. Sie lieben mich noch, genug für mich".Hören Sie doch, was Ihre Minna für ein eingebildetes, albernes Ding war, ist. Sie ließ, sie läßt sich träumen: Ihr ganzes Glück sei sie. Geschwind kramen sie Ihr Unglück aus". Schon dieses Wort:kramen Sie es aus", erleichtert die tragische Situation. Seine Zurückhaltung:mein Fräulein, ich bin nicht gewöhnt

zu klagen", ist eine Schanze, die einem so treffenden Einwurf, wie dem ihrigen nicht Stand hält:O mein Rechthaber, so hätten Sie sich auch gar nicht unglücklich nennen sollen. Ganz geschwiegen oder ganz mit der Sprache heraus". Jetzt muß er sein Unglückauskramen", alle die schlimmen

Wechsel seiner Schicksale: er ist nicht mehr der glückliche Tellheim,der

blühende Mann, voller Ansprüche, voller Ruhmbegierde, der seines ganzen Körpers, seiner ganzen Seele mächtig war, vor dem die Schranken der Ehre und des Glücks eröffnet standen".Ich bin Tellheim, der verabschiedete, der an seiner Ehre gekränkte, der Krüppel, der Bettler. Jenem, mein Fräulein versprachen Sie sich; wollen Sie diesem Wort halten?" In Minnas Erwiderung liegt ihr ganzes Herz, ihre ganze Gemüthsart:Das klingt sehr tragisch! Doch, mein Herr, bis ich jenen wiederfinde in die Tellheims bin ich nun einmal vernarrt dieser wird mir schon aus der Noth Helsen müssen. Deine Hand, lieber Bettler!" Aber die Sache ist weit ernsthafter,

als sie im Jubel des Glückes meinte. Mit dem höchsten Ausdrucke des

Schmerzes reißt sich Tellheim von ihr los und erklärt mit der Willensstärke, die sie kennt, daß er gehe, um sie nie, nie wieder zu sehen; daß er fest entschlossen sei, keine Niederträchtigkeit zu begehen, sie keine Unbesonnenheit begehen zu lassen.

Der Knoten ist geschürzt und die Exposition unseres Dramas vollendet, sie konnte Zug für Zug nicht natürlicher motivirt, nicht feiner und meister­hafter ausgeführt sein. Der letzte Moment macht den erschütternden Ein­druck einer tragischen Peripetie, eines plötzlichen und schlimmen Umschwungs der Dinge. Auf dem Gipfel des Glücks, ihres Zieles sicher, erkennt Minna mit einem Male den furchtbaren Ernst des Schicksals. Aus dem Wieder­sehen ist Trennung geworden, hoffnungslose, wie es scheint. In diesem Augenblicke ist sie ihrer selbst nicht mächtig, sie eilt ihm nach und will ihn nicht lassen, er reißt sich von Neuem los und stürzt fort; sie sieht den Wirth nicht, der vor ihr steht, und glaubt mit Franziska zu sprechen. Händeringend, unter Thränen, ruft sie aus, wie verloren im Abgrund des Elends:Bin ich nun glücklich? Franziska, wer jammert dich nun?"

Diese Scene läßt der Dichter aus den triftigsten Gründen nicht vor unseren Augen geschehen, sondern blos durch den Zeugen schildern. Sie ist für den Charakter Minnas durchaus bezeichnend und darf in dieser ihrer ergreifenden Bedeutung um keinen Preis durch den Anblick der mit Tellheim vergeblich ringenden Frau und des Wirths, den sie in der Betäubung für ihre Kammerjungfer ansieht, geschwächt werden: Züge, die vor unseren Augen