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Kuno Fischer in Heidelberg.
anders kann man es kaum nennen, wenn jemand sein Unglück nur für sich behalten und selbst der Liebe nicht gönnen will, es zu erleichtern und zu theilen.
Doch würden wir Tellheims Beweggründe, die Minna von Barnhelm zu überwinden hat und überwindet, nicht völlig durchschauen und würdigen, wenn wir Alles darin nur seinem Stolz und überzarten Ehrgefühl zuschrieben. Er vergißt jede Rücksicht aus die ihm ganz ergebenen Menschen, blos weil er sich selbst vergißt. In der Art, wie er sein Unglück empfindet und trägt, in dieser wortlosen Entsagung, in dieser stummen Fassung liegt eine Schlichtheit und Gelassenheit, die von den Schicksalen des Krieges und von der Schule der Schlachten herkommt. Die Unfälle, die ihn betroffen haben, gehören noch zu den Kriegsstürmen; er steht wie unter dem Commando des Schicksals und läßt, was es verhängt, über sich ergehen, wie der Soldat im Felde, der standhalten muß, wie es der Dienst fordert; er steht, wie der tapfere Soldat, der die Gefahr für sich allein haben will. Tellheim sieht seine Ehre gefährdet in Folge einer That, die er im Kriege verübt hat: diese Gefahr muß überstanden sein, bevor in seinem Leben Friede wird. Darum darf auch die königliche Ehrenerklärung nicht ausbleiben. Wer den Charakter Tellheims darstellen will, muß uns in jedem Zuge den Soldaten erkennen lassen, den der Krieg geschult hat.
Unser Stück ist ein Genrebild, das nicht blos in den Begebenheiten, sondern in den Charakteren und Empfindungsweisen, die es schildert, unmittelbar auf dem grandiosen Hintergründe des siebenjährigen Krieges ruht. In einer Fülle von Zügen, die deshalb so eindringlich sind, weil sie einfach und anspruchslos, ohne Putz und anekdotische Färbung, aus der Handlung hervorgehen, erscheinen uns die Wirkungen jener heroischen, die menschlichen Schicksalsloose stürmisch durcheinander rüttelnden Zeit. Leichter als sonst werden ungewöhnlich starke, großherzige Entschlüsse gefaßt und eine Energie des Herzens an den Tag gelegt, ohne welche im Bilde unserer Dichtung Minna von Barnhelm und Tellheim sich nie gefunden und wiedergefunden hätten. Es gehört zu der erhabenen Zucht des Krieges, daß tüchtige und kraftvolle Naturen allen Eigennutz verlernen und alle Weichlichkeit des Empfindens sich abgewöhnen. Um so reiner zeigt sich das Mitleid, um so einfacher und natürlicher die Großmuth. Von solchen Eindrücken sind wir ergriffen, wenn Tellheim den Schuldschein Marloffs vernichtet und voll tiefen Mitgefühls der Wittwe nachruft: „Armes braves Weib!" Wenn Minna dem Kammermädchen Geld mit vollen Händen giebt: „Für den ersten blessirten, armen Soldaten!" Wenn der Wachtmeister dem Major den Beutel mit seinen Ersparnissen hinhält, als ob es die Feldflasche wäre: „Nehmen sie, lieber Major, bilden sie sich ein, es sei Wasser!" — Was in der menschlichen Natur der Krieg nicht besser macht, das macht er schlechter. Auch Charaktere der niederen und verdorbenen Art dursten in unsrem dramatischen Zeitbilde nicht fehlen, wie der habgierige Wirth und der falsche Spieler, der französische Industrie-