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Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern für die Grundschule : Erfahrungen - Ergebnisse - Probleme / [Universität Potsdam. Hrsg.: Direktorium des Instituts für Grundschulpädagogik]. Tassilo Knauf ...
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andere Weise- vielleicht durch besonders schroffes Auftreten- eindeutig als Junge präsentieren wollen wird. Unterstützung finden solche Prozesse durch den offiziellen Unterricht, wo über Lehrmaterialien und Interaktionen tagtäglich gesellschaftliche Vorstellungen von"Weiblichkeit" und"Männlichkeit" aktiv reproduziert und legitimiert werden. Lehrerinnen und Lehrern kommt hier eine entscheidende Rolle zu.

Die KategorieGeschlecht in der Lehramtsausbildung

Die kulturelle und erziehungswissenschaftliche Bedeutung der analytischen KategorieGeschlecht besteht nicht nur im Sichtbarmachen der Tatsache, daß die Geschlechtszugehörigkeit eigene soziale Wirklichkeiten konstituiert und strukturiert, sondern vor allem in dem Anspruch, zur Veränderung gesellschaftlicher Strukturen beizutragen, die eine wirkliche Gleichberechtigung der Geschlechter ver- bzw. behindern. Schule und Hochschule könnten zu einem Korrektiv patriarchaler Sozialisierungsmechanismen werden, wenn sie sich nicht nur vereinzelt und sporadisch der mit dieser sozialen Struktur- und Analysekategorie umrissenen Realität des Lebens in einemkulturellen System der Zweigeschlechtlichkeit zuwenden würden. Lehrerinnen und Lehrer sollten vertraut sein mit theoretischen Ansätzen und der diskursiven Auseinandersetzung um die Koedukation und den Ergebnissen feministischer Schulforschung.

Im Zentrum der Bemühungen von Forschungsvorhaben, Modellversuchen und Projekten zur Verbesserung der koedukativen Praxis steht in den letzten Jahren das verstärkte Bemühen, Mädchen und Jungen bei der Entwicklung ihrer eigenen geschlechtlichen Identität zu begleiten. Vorurteile und verfestigte Geschlechts­tereotype* behindern und hemmen dabei ebenso wie Macht- und Herrschafts­strukturen ihre freie Entwicklung.

Die Normalität und für viele auch dieBanalıtät, die in der Tatsache der Existenz von zwei Geschlechtern zu liegen scheint, behindert und begrenzt jedoch nach wie vor die kritische Auseinandersetzung in Theorie und Praxis. Ohne das Aufdecken hierarchischer Bedingungen und geschlechtsstereotyper Zwänge und ohne die Entwicklung qualitativer Differenzen bei der Verwirklichung von Gleichheit werden Schule und Hochschule die gesellschaftlich organisierte Ungleichheit zwischen den Geschlechtern immer wieder reproduzieren, anstatt sie zu überwinden.

' Vgl. dazu die Ergebnisse der von der GEW initiiertenNeuen Koedukationsdebatte. In: GEW­ReaderKoedukation, 2. Auflage, Frankfurt am Main 1995.

? In diesem Zusammenhang verweisen wir u.a. auf die Themenhefte zur Koedukation: PÄD. EXTRA 9/1991, Bildung und Erziehung 1/1992, Pädagogische Welt 1/1994, Pädagogik 9/1994.

* Sehr früh, gleich nach der Geburt, erfährt jeder Mensch- durch die komplexe Realität der gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse und vor allem durch einheimliches verbales und nonverbales Regelsystem der Geschlechterinteraktionen-, daßjedermann auf der Welt ein Junge oder ein Mädchen ist(Kohlberg 1974, S.295).

* Grabrucker(1985) und Scheu(1978) haben in ihren Berichten sehr eindrucksvoll die geschlechtstypische Prägung der Kinder in den ersten drei Lebensjahren geschildert.

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