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Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern für die Grundschule : Erfahrungen - Ergebnisse - Probleme / [Universität Potsdam. Hrsg.: Direktorium des Instituts für Grundschulpädagogik]. Tassilo Knauf ...
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Ergebnisse feministischer Schulforschung in Ost und West

Die durch den Ost-West-Vergleich möglich gewordenen neuen Einsichten ım Rahmen der feministischen Schulforschung verweisen auf reale Veränderungs­möglichkeiten der Geschlechterverhältnisse auch durch die Schule. Erste Untersuchungen zeigen, daß jahrzehntelange unterschiedliche Sozialisations­bedingungen in den alten und neuen Bundesländern und unterschiedliche Bildungs­und Erziehungskonzepte bestimmte Einstellungs- und Verhaltensunterschiede bedingen, die im Hinblick auf die Entwicklung der Geschlechterverhältnisse, auf geschlechterstereotypes Denken und auf die Entwicklung der Geschlechtsidentität von besonderem Interesse sind. Dies kann auch einen neuen Blick auf didaktische und schulpädagogische Überlegungen bei der Reform der Schule eröffnen.

Zu den wichtigsten Erkenntnissen der feministische Schulforschung gehört, daß sich die unterschiedliche Wertschätzung der Geschlechter in der Gesellschaft auch in der Schule widerspiegelt. So wird z. B. in der Einstellung der Mädchen und Jungen zur eigenen Geschlechtszugehörigkeit die bestehende Geschlechterhierarchie deutlich, indem häufig eine globale Aufwertung desMännlichen und eine Abwertung des Weiblichen zu konstatieren ist(vgl. Kampshoff 1992), die sich auch in den Schulbüchern widerspiegelt(vgl. Brehmer 1982, Fichera 1990). Diese unterschiedliche Wertschätzung wird auch ım Verhalten der Lehrerinnen und Lehrer sichtbar. Die Mädchen werden zwar als fleißiger und ordentlicher, die Jungen aber als intelligenter und interessanter eingeschätzt. Diese tradierten Vorurteile prägen oft auch die Interaktionsprozesse im Unterricht. Jungen erhalten von den Lehrenden mehr Aufmerksamkeit und feed-back als die Mädchen(vgl. Enders-Dragässer/Fuchs 1989). Lehrerinnen und Lehrer neigen auch dazu, auf Jungen mehr zu achten. Es konnte nachgewiesen werden, daß Jungen signifikant öfter aufgerufen und signifikant öfter gelobt werden als Mädchen. Sie werden auch signifikant häufiger getadelt und ermahnt wegenmangelnder Disziplin, und es erfolgt in den einzelnen Fächern eine unterschiedliche Behandlung von Jungen und Mädchen, die ın Sachkunde und Mathematik am ausgeprägtesten ist, während sie ın Deutsch am wenigsten zutage trıtt(vgl. Frasch/Wagner 1982).

Eine weitere wichtige Erkenntnis der schulbezogenen Frauenforschung betrifft die Rolle des Selbstbewußtseins und Selbstvertrauens der Mädchen. Bei gleichem Schulerfolg weisen die Jungen gegenüber den Mädchen stets einen Selbstvertrau­ensvorsprung auf. Sie können den guten Schulerfolg besser in ein positives Selbst­bild umsetzen als die Mädchen und sind auch gegenüber schulischen Mißerfolgen in ihrem Selbstvertrauen weniger anfällig. Ursache ist vermutlich, daß die mit der weiblichen Geschlechtsrolle verbundenen Erlebnisse der gesellschaftlichen Nach­rangigkeit die positive Wirkung des Schulerfolgs teilweise zu unterlaufen scheinen, während sich bei Jungen gute Leistungserfolge und die positive gesellschaftliche Bewertung des Männlichen gleichgerichtet ergänzen(vgl. Horstkemper 1987). Durch die Koedukation werden zudem die geschlechtsspezifischen Polarisierungen in frei wählbaren Unterrichtsfächern begünstigt und die Hemmschwellen und spezifischen Interessen der Mädchen in den mathematisch-naturwissenschaftlichen

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