Bianka Tiedtke
Zur Reform der LehrerInnenausbildung* 1. Zur Notwendigkeit der Reform der LehrerInnenbildung
LehrerInnenbildung ist von zentraler bildungspolitischer Bedeutung. In einer Zeit beschleunigten gesellschaftlichen Wandels, der einen rapiden Wandel von Familie und Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler mit sich bringt, in einer Zeit, da die pluralistische Gesellschaft für den einzelnen nicht mehr über- und durchschaubar ist, in einer Welt, in der die Werte immer beliebiger erscheinen und der eigene Weg immer schwerer erkennbar ist, wachsen der Schule ständig neue Aufgaben zu. Die Unsicherheit der materiellen Lebensbedingungen und ein Mangel an gesellschaftlicher Solidarität beeinflussen das Leben bis in die Familie hinein. Besonders geprägt wird die Situation von Kindern und Jugendlichen durch gewandelte Familienverhältnisse mit den Erscheinungsformen einer Verarmung an Bezugspersonen in der Kernfamilie, weitgehender fehlender Geschwistererfahrung und häufiger Verlustangst und-erfahrung. Die Schule heute hat sich als Folge der qualitativen gesellschaftlichen Veränderung und der Veränderung der Lebensbedingungen auch ın der Kindheit und Jugend zunehmend von einer Ergänzungs- zu einer Ersatzfunktion entwickelt. Schulen sind zu hoch bedeutsamen Zonen der alltäglichen Lebenswelt vieler Schülerinnen und Schüler geworden. Sie sollen Erfahrungen, Ereignisse, Aktivitäten und Befriedigungen vermitteln, die in den ausgedünnten Privatwelten der Familien, in der anonymen Medienlandschaft und in der oft vorpragrammierten Freiheit nur noch schwer erreichbar sind.
Unter diesem Aspekt muß die Schule verstärkt und gezielt Arbeits- und Verantwortungserfahrungen ermöglichen, ihre Schülerinnen und Schüler zur Aufarbeitung komplexer Sachzusammenhänge anleiten, Verständnis für andere und Zusammenarbeiten mit anderen fördern, im Schulleben Stille und Konzentration erleben lassen, Orientierung vermitteln sowie Verläßlichkeit, Beständigkeit und Vertrauen erfahren lassen. Je dynamischer und komplexer die gesellschaftliche und technische Entwicklung verläuft, je rascher sich der Zuwachs an Wissen vergrößert, um so bedeutsamer werden„Schlüsselqualifikationen“ wie die Fähigkeit zu lebenslangem Lernen in eigener Verantwortung, Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit, Kreativität und Transferfähigkeit, die Fähigkeit, sich selbst Ziele zu setzen und diese planmäßig auch gegen Widerstände zu verfolgen. Erfolg und Versagen von Schule, von Lehrerinnen und Lehrern sind daher bedeutsamer denn je zuvor. Erziehung und Unterricht werden immer schwieriger, kompetentes *Auszug aus einem Entwurf zur„Reform der LehrerInnenausbildung“, erarbeitet unter Ltg. der Stellv. Vorsitzenden der GEW, Bianka Tiedtke, hrsg. v. Hauptvorstand der GEW, Frankfurt/Main, März 1996, S.6-18
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