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Erklärungen dunkler und schwieriger Stellen im Talmud u[nd] Midrasch auf dem Gebiete der Ethik : nach philosophischer Auffassung / von S. Adelmann
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Da es eine große Hungersnot war, wo auch viele Gelehrte Noth litten, die Hilfsmittel dagegen zu gering waren, um die Not aller Darbenden lindern zu können, so wollte Rabbi die wenigen Mittel zur Linderung der Not der Gelehrten anwenden.*)

Was uns aber in dieser Erzählung des Talmuds sehr auffallen muß, ist, daß Rabbi auch nach der Ansübug der Nächstenliebe an dem vermeintlichen" y seinem Bedauern darüber Ausdruck gab, seine Mildthätigkeit an diesem ange= wendet zu haben. Richtet sich doch eine solche Auffassung gegen die Begriffe der Humanität.

Wir sind der Ansicht, daß man diese Stelle vielleicht in folgender Weise erklären kann.

Aus der Erzählung des Talmuds scheint hervorzuge­hen, daß Doy 1 1n, der sich als" y ausgab, nachdem ihm Rabbi die gewünschte Unterstüßnng aus dem vorhin er­wähnten Grunde verweigert hatte, das Mitleid desselben anzuregen suchte, um auf diese Weise das Gewünschte doch zu erhalten, wie ihm dies auch gelang.

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Wenn also Rabbi den vermeintlichen ny unterstützt hät­te, um die лp so zu erfüllen, wie man diese jedem Be­dürftigen gegenüber ohne Unterschied, auszuüben verpflichtet ist, so hätte Rabbi keine Ursache gehabt, darüber betrübt zu sein. Dies war aber hier nicht der Fall, sondern nur die Empfindung des Mitleides mit dem Manne, welches nicht überwinden konnte, bewog ihn, diesem Unterstüßung zu gewähren. Deshalb bedauerte er, daß er bei der Erfüllung eines göttlichen Gebotes sich von seinen Gefühlen habe leiten Lassen und nicht seinem Verstande gefolgt war, welcher ihn gebot, bei der Bethätigung der Nächstenliebe ehr auf die seines Gleichens Rücksicht zu nehmen.

*) Auch vom Standpunkte der Thora so wie von dem des Verstandes, haben bei unserer Mildthätigkeit die uns nahestehenden Bedürftigen den Vorzug vor allen Anderen.