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vor Strafe oder vor Entziehung einer Belohnung. Demnach mögen diese Worte folgenden Sinn haben: Der Zweck des Menschen ist, wie bekannt, sich hienieden Verdienste zu er= werben, weshalb ihm die Vorsehung die лn hat zu Teil werden lassen d. h. die Vorsehung hat ihm Freiheit des Willens, die auch von äußeren Umständen nicht gehemmt wird, gegeben. Diese unumschränkte Willensfreiheit, durch welche sich der Mensch Verdienst oder Strafe erwerben kann, bezeichnet der Talmud mit dem Ausdrucke so unter wel chem die Furcht vor Strafe oder vor Entziehung irgend einer Belohnung zu verstehen ist, weil diese nur dann vorhanden ist, wenn der Mensch für sein Thun und Lassen verantwortlich gemacht wird, was aber nur dann der Fall ist, wenn seine лn nicht von äußeren Umständen beeinträchtigt worden ist.
4. Kapitel.
Wie wir schon oben erklärt, sind die bösen Begier den in dem Wesen des Menschen tief eingewurzelt und mit demselben fest verbunden. Indessen würden die Begierden keinen so großen Einfluß auf die Handlungen des Menschen haben, wenn nicht aus diesen der Trieb entstünde, die Leidenschaften zu befriedigen. Je länger und häufiger den Begierden die Befriedigung zu Teil wird, desto stärker und naturgemäßer werden sie. In Anbetracht dessen ist es für den nach Vollkommenheit strebenden nicht ratsam seine Leidenschaften auf einmal aus seinem Wesen verbannen zu wollen. Vielmehr dürste dies auf eine allmähliche Weise zu erreichen sein, denn in eben derselben Weise, wie die Leidenschaften ihre Stärke erreichten, in eben derselben Weise muß man suchen, sie zu schwächen. Das Streben nach Vervollkommnung sollte nämlich in der Weise geschehen, daß man seine Leidenschaften in kleinerem Maße und in gröBeren Zwischenräumen als früher befriedigt und immer we=