Druckschrift 
Das Fontane-Buch : Beiträge zu seiner Charakteristik ; Unveröffentlichtes aus seinem Nachlaß ; das Tagebuch aus seinen letzten Lebensjahren / hrsg. von Ernst Heilborn
Entstehung
Seite
37
Einzelbild herunterladen

der zum erstenmal Paris auf sich wirken läßt. Aber es ist die Äußerung einer geistig beladenen, von der Ver­pflichtung zur Produktion absorbierten Existenz, die sich zum Vergnügen notwendig übellaunig und widerwillig ver­hält; und es ist namentlich die Äußerung einer zwar dauer­haften und zu späten Meisterleistungen bestimmten, aber nervös gequälten Konstitution, für welche die Jugend kein angemessener Zustand war und die zur Harmonie eigentlich erst im Alter gelangen konnte, wo weder wir selbst noch die anderenFrische" von uns verlangen, und wo die Frage: Was soll der Unsinn?" zu einer natürlichen, menschlich erlaubten und darum sympathischen Grundstimmung wird.

Seine nervöse Verfassung muß eine gewisse Ähnlichkeit mit der Wagners gehabt haben, der freilich munter bis zur Albernheit sein konnte, in dessen langem, ergiebigem Schöpferleben das Gefühl des Wohlseins aber eine Aus­nahme gewesen zu sein scheint; der, konstipiert, melancholisch, schlaflos, allgemein gepeinigt, sich mit dreißig Jahren in einem Zustand befindet, daß er sich oft niedsrsetzt, um eine Viertelstunde lang zu weinen; der vor der Beendung des Tannhäuser" zu sterben fürchtet und mit fünfunddreißig Jahren sich für zu alt hält, um die Ausführung des Nibe­lungenplanes zu unternehmen; der fortwährend erschöpft, jeden Augenblickfertig" ist, mit Vierzigtäglich an den Tod denkt" und mit fast Siebenzig denParsival" schreiben wird. Der Temperamentsunterschied ist groß, und bei Fontane ist alles kühler, gemäßigter. Aber seine Briefe geben Kunde von seiner raschen Erschöpfbarkeit, seiner inne­ren Gehetztheit; und offenbar hat er nicht geglaubt, es zu hohen Jahren zu bringen. Wenn er mit siebenunddreißig sich altern fühlt, so sieht er sich mit siebenundfünfzig am Ziel. Er hatnun alles Irdische erreicht: geliebt, geheiratet, Nach­kommenschaft erzielt, zwei Orden gekriegt und in den Brock­haus gekommen. Es fehlt nur noch zweierlei: Geheimer Rat und Tod. Des einen bin ich sicher, auf den anderen

37