Die Goldene Hochzeitsreise
Entwurf zu einer Skizze
Eie war siebzig, er fünsundsiebzig. Die goldene Hochzeit war am Tage vorher unter Kindern und Enkeln (selbst ein Urenkelchen; mit Übergehung eines in einem weiß und blauen Korbwagen gebetteten Urenkels) eine Woche vorher im Kreise der Kinder und Enkel gefeiert worden und zu Beginn des siebenten Tages sagte der Hochzeiter: „Alte, alles ist abgereist, wohin reisen wir?" Der Alten leuchtete das Gesicht, und sie sagte: „Das ist recht, ich habe auch schon so was gedacht. Reisen. Ja, reisen; das hab' ich all mein Lebtag geliebt und bin so wenig dazu gekommen. Weißt du, Alter, laß uns die Hochzeitsreise machen, die wir vor 50 Jahren gemacht haben. Wir wollen sehen, was sich seitdem mehr verändert hat, die Welt oder wir." „Ich fürchte, wir," sagte er. „Wer weiß", sagte sie, denn sie wußte sich was, daß sie fünf Jahre jünger und eine frische Frau war. So frisch wie die weiße Bandhaube, die sie trug. „Abgemacht." Und am neunten Tag fuhren sie gen Italien, und den zwölften Tag saßen sie um Mitternacht mit jungem schwatzenden Volk in einer großen Hotel-Gondel und fuhren den Canal grande hinunter, unter dem Rialto fort, an dem Palazzo Fallen vorbei und kaum hundert Schritt vor der Lagune in einen Seitenkanal hinein. An einer Wassertreppe landeten sie und stiegen das hellerleuchtete Hotel hinauf bis in den dritten Stock. „Hochzeitspaare steigen hoch," sagte der Alte, und sie traten ans Fenster und sahen über dem Häuserwirrwarr vor sich die Kuppelspitze von San Marco und die schlanke Spitze des Campanile. Zwischen beiden stand die halbe Mondscheibe. „Wie sonst," sagte er. „Unverändert."
Sie gehen nun auf den Markusplatz. Vor die Lauben. Kaffee. Die Tauben von San Marco. So saßen sie. Dann sagte er: „Findest du einen Unterschied?" „Ja, Herz."
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