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Das Fontane-Buch : Beiträge zu seiner Charakteristik ; Unveröffentlichtes aus seinem Nachlaß ; das Tagebuch aus seinen letzten Lebensjahren / hrsg. von Ernst Heilborn
Entstehung
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denen die Herzen ihrer Mitmenschen immer wieder und wieder zufallen. Als junger Mensch dacht' ich gerade ent­gegengesetzt. Hübschheit war nichts. Talent, Genie war alles."

So ist es in der Ordnung. Das Recht auf Ironisierung des Geistes und derLiteratur" (eine Manier heutzutage, mit welcher von Unbefugten ein widerwärtiger Mißbrauch getrieben wird) will erst erworben sein durch große Lei­stungen; Künstlerskepsis gegen Kunst und Künstlertum wird ehrenhaft erst, wenn sie mit jener künstlerischen Frömmig­keit, jenem Kunstfleiß verbunden ist, den Fontane, ein echter Nordmensch hierin, beinahe mit dem Genie identi­fizierte.Gaben", lautet ein Distichon an Adolf Menzel:

Gaben, wer hätte sie nicht, Talente, Spielzeug für Kinder!

Nur der Ernst macht den Mann, nur der Fleiß da- Genie."

Und dem entspricht die Briefstelle:Es gibt heutzutage keine bloßen .Talente' mehr. Zum wenigsten bedeuten sie nichts, gar nichts. Wer h eutzutage eine Kunst wirklich betreibt undM-ihr. was leisten will, muß natür lich vor allem auch Talent, gleich hinterher aber Bildung, Einsicht, Ge­schmack und eisernen Fleiß haben. Zum künstlerischen Fleiß aber gehört etwas anderes als Massenproduktion. Storm, der zu einem kleinen lyrischen Gedicht mehr Zeit brauchte als Brachvogel zu einem dreibändigen Roman, ist zwar mehr spazierengegangen als der letztere, hat aber als Künstler doch einen hundertfach überlegenen Fleiß gezeigt. Der gewöhnliche Mensch schreibt massenhaft hin, was ihm gerade in den Sinn kommt. Der Künstler, der echte Dichter, sucht oft vierzehn Tage lang nach einem Wort."

Bildung, Einsicht, Geschmack und Fleiß: man sieht, dieser Nördliche, der vom Märker doch wohl noch mehr hatte als vom Gaskogner, war nicht auf den Rausch, sondern auf Erkenntnis gestellt, auf jenes Wissen ums Ideal, das übrigens den großen Epochen der Dichtkunst eigentümlich ist. Er

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