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Das Fontane-Buch : Beiträge zu seiner Charakteristik ; Unveröffentlichtes aus seinem Nachlaß ; das Tagebuch aus seinen letzten Lebensjahren / hrsg. von Ernst Heilborn
Entstehung
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Als ich ihn so mehrere Tage lang beobachtet hatte, wandte ich mich an den den Bau beaufsichtigenden Polier und fragte: wer er sei?Wir wissen es nicht; er hat sich einen Namen gegeben, der sicherlich nicht der seine ist; wir haben ihn von einem anderen Bau her übernommen."Er sieht anders aus wie die anderen."Er ist auch anders und spricht auch anders. Er soll aus guter Familie sein. Gott, was kommt nicht alles vor."

Ich hörte dann noch seinen Namen, aber weder der Polier noch ich waren sicher, daß es der rechte Name sei.

So kam der Sonnabend. Ich trat, als der Wochenlohn gezahlt wurde, an ihn heran und sagte ihm, ich hätte ihn durch die ganze Woche hin beobachtet und sähe, daß er aus anderen Verhältnissen sei. Wenn er mich besuchen und über seine Lage sprechen wollte, so stände ich ihm nächsten Sonntag zu Diensten, er würde mich bis n Uhr sicher treffen. Und nun nannte ich ihm das Hotel, in dem ich wohnte.

Richtig, er kam. Seine Erscheinung ist mir unvergeßlich. Er hatte sich augenscheinlich so gut wie möglich zu kleiden gesucht, aber es war trotzdem ein trauriger Aufzug, in dem sich von dem Sonntagsstaat anderer Arbeiter nichts erkennen ließ. Eigentlich waren es nur zurechtgelegte Lumpen. Aber so traurig der Aufzug war, an dem auch nicht das Geringste an den Sonntagsstaat eines behäbigeren Arbeiters erinnerte, war sein Erscheinen doch ganz das eines Gentleman, der nur das Unglück gehabt hat, auf einer langen Seefahrt oder weil er fünf, zehn Jahre lang auf eine unbewohnte Insel verschlagen wurde, fünf oder zehn Jahre lang dieselben Kleider tragen zu müssen. Er hatte schönes Haar, die Wäsche war rein und die Hände so sauber, wie Hände nach wochen­langer schwerer Arbeit sein können.

Ich nahm sein Erscheinen ganz als einen Besuch und bat ihn, Platz zu nehmen, was er ohne Verlegenheit tat und nur auf ein erstes Wort wartete. Ich ließ ihn nicht lange warten und sagte ihm, daß ich ein Mitgefühl mit seiner Lage empfände.

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