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Judenproblem / von I. Breuer
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des Urteils bei, das sich, aus einer Unsumme gar nicht ab­zuwägender Momente, die öffentliche Meinung des Aus­landes im Laufe der Zeit allmählich über ein Staatswesen bildet und von dem sie, wenn es einmal feststeht, nur über­aus schwer wieder abzubringen ist. Anscheinend haben die deutsch en Staatsmänner vor dem Krieg und auch während des Krieges hierauf nicht immer gebührend Rücksicht ge­nommen.

Schon der Einfluß, der den Juden in den einzelnen Ländern ihres Aufenthaltes selbst zukommt, kann nicht leicht überschätzt werden. Freilich gilt hier eine höchst bedeutsame Einschränkung. Nirgends haben die Juden diesen Einfluß dahin ausüben können, um ihre eigene Lage wesentlich zu verbessern oder gar ihre gänzlich vorbehaltlose rechtliche und namentlich soziale Gleichstellung durchzusetzen. Sie haben in literarischer, künstlerischer, wirtschaftlicher und politischer Hinsicht dem öffentlichen Leben vielfach ihre Eigenart auf­geprägt. Ihrer geistigen Bedeutung hat sich kein Staat, der sie beherbergte, zu entziehen vermocht. Mit einer ans Wunderbare grenzenden Schnelligkeit haben sie sich, nach ihrer rechtlich formellen Emanzipation, in die Kultur ihrer Umwelt eingelebt und immerhin so Bedeutungsvolles ge­leistet, daß diese Kultur ohne sie anders gedacht werden müßte. Dagegen ist es ihnen niemals gelungen, die Vor­stellungen und Wünsche, die sie hinsichtlich ihrer selbst hatten, den herrschenden Kreisen aufzunötigen.

Man hat oft, und zwar in tadelndem Sinne, betont, wie grenzenlos die Einfühlungsfähigkeit der Juden sei, wie sie binnen unglaublich kurzer Zeit sich in Deutschland als Deutsche, in Frankreich als Franzosen, in England als Eng­länder zu geben wüßten. Aber das ist nur eine halbe Wahrheit, denn das Gegenteil ist nicht minder richtig. Fast nirgends haben die Juden das, was als spezifisch jüdisch angesehen und empfunden wird, aufgegeben. Sie haben die Kultur der Nationen in sich ausgenommen und in vollendeter Eigenart wiedergegeben. Sie haben das Deutschtum, das Franzosentum, das Engländertum durch sich hindurchgehen lassen, haben sich aber diesen Typen keineswegs eingeordnet, sondern haben sie durch den Typ des deutschen, des fran­zösischen und des englischen Judentums bereichert. Sie, die

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