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Judenproblem / von I. Breuer
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IX.

Der Zionismus und die Nation.

Die Patron ist eine Schöpfung der Geschichte und keine Kunstschopsung der Menschen. Da sie sich auf keine Or­ganisation stützt, gehört sie, weit mehr noch als der Staat, nicht der Welt der äußeren, sondern lediglich der Welt der inneren Erfahrung an. Sie ist einegeschichtliche Synthese der Seelen, deren wir uns durch Versenkungin uns selbst bewußt werden.

Die Selbsterkenntnis der geschichtlichen Persönlichkeit vollzieht sich aber nach den nämlichen Gesetzen wie die Selbst­erkenntnis des individuellen Ich. Das nationale wie das individuelle Ich ist nur die Form der Synthese, die ohne synthetisierten Inhalt leer ist und außerhalb jeder Erfahrung liegt. Einheit ist ohne Mannigfaltigkeit nicht denkbar. Ich werde meiner selbst mir nur bewußt als verharrendes Sub­jekt im Wechsel der Objekte. Eine nationale Selbsterkennt­nis schließt jedesmal die Erkenntnis der Fülle nationaler Güter, deren einheitlicher Träger eben die Nation ist, in sich ein.

Die Gemeinsamkeit geschichtlichen Gewordenseins ist Kulturgemeinsamkeit. Nur die nationale Kultur verleiht geschichtlichem Erleben Wert und Bedeutung und macht aus chronikhaften, zum Absterben verurteilten Tatsachen geschicht­liche Ereignisse.

Das Bekenntnis zur Nation schließt das Bekenntnis zur nationalen Kultur in sich ein. Wer zur Nation steht, aber > die nationale Kultur ablehnt, jagt einem leeren Schemen nach und treibt romantische Spielerei.-

Der Zionismus hatte die Judeneinheit als nationale Einheit erkannt. Damit hatte er den Boden der Geschichte betreten. Sie allein hätte ihm nun, wenn sie in das Be­wußtsein seiner Urheber eingegangen wäre, mit der natio­nalen Selbsterkenntnis zugleich die Erkenntnis der inhaltlich bestimmten nationalen Kultureigenart des Judentums brin­gen müssen. Was aber die mit der Nation nach tiefstens verwachsene Seele dieser Männer sie fühlen ließ und in

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