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Judenproblem / von I. Breuer
Seite
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den Untergang des alten Judenstaates verursacht hatte, sicher­lich jedoch der Politisierung der jüdischen Nation und der Erweckung eines gesunden, natürlichen Nationalegoismus höchst hinderlich im Wege stand. Diese Nationalreligion, die die Juden der Gegenwart wie die Juden des alten Juden­staates in seinen letzten Tagen in grimmigen Parteikämpfen sich selbst zerfleischen ließ, und der die zionistischen Wort­führer in ihrem religionsfremden Privatleben im günstigsten Falle als subjektiv entschuldbare Sünder erscheinen mußten, konnte im zionistischen Programm keine Aufnahme finden, sollte der Zionismus nicht alsbald zu einer bloßen Re­ligionspartei innerhalb des Judentums herabsinken und die Zersplitterung der Juden mehren helfen. Wie der künftige Judenstaat, so mußte heute schon der Zionismus als Ge­burtshelfer dieses Staates die Trennung von derKirche" vornehmen und gegenüber sämtlichen Religionsanschauungen strengste Neutralität wahren.

Diese Neutralität aber bestand nun nicht mehr, wie bei den deutschen Großgemeinden, in einer gleichmäßigen För­derung der Ziele aller Religionsmeinungen, sondern in einer gleichmäßigen Absage an alle diese Ziele, an deren Stelle das klar ausgesprochene Ziel der Lösung des Judenproblems auf national-politischem Wege trat. Mit dieser Absage an alle und jedwede Religion vertrug es sich natürlich sehr wohl, daß das zionistische Komitee nach Kräften bestrebt war, offenkundige Verletzungen der Vorschriften des überlieferten Religionsjudentums in offiziellen Maßnahmen tunlichst zu vermeiden. Die Gefühle der orthodoxen Juden brauchten nicht unnütz beleidigt zu werden. Man fand sich zu dieser Toleranz um so eher bereit, je mehr man sich seelisch zur angestammten Religion hingezogen wußte. Aber die Tole­ranz, die man der Religion entgegenbrachte, forderte man in hundertfachem Maßstab von ihr zurück. Nicht mehr und nicht weniger mutete man ihr zu, als abzudanken und sich mit Ehrenrechten zu begnügen.

Damit war das Schicksal des Zionismus entschieden.