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Judenproblem / von I. Breuer
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heit einst in Schlaf gelullt: doch wenn dann Mütterchen sich, ängstlich besorgt, nach seinem Tun und Treiben erkundigt, wenn es ihm gar, wie in längst verschwundenen Kindheits­tagen, Weisungen geben will, wie er sich verhalten soll, ihn Zärtlich ermahnt und ernstlich verwarnt, da lächelt er still versonnen und läßt die Treue gewähren: Sie weiß es nicht anders, kann's ja nicht anders wissen.-

Theodor Herzls Herz hat den Weg auch zur jüdischen Religion zürückgefunden. Das war es ja gerade, was ihn, weil er eben im übrigen so westeuropäisch erschien, mit einem Zauber umgab, dem mancher Gegner unterlegen ist. Aber es war auch zugleich das tief Tragische an ihm wie an der ganzen von ihm inaugurierten Bewegung. Denn schon die Wahrhaftigkeit seiner Persönlichkeit litt es nicht, das intellektuelle Opfer einer Beugung des Geistes unter das sehnende Wollen des Herzens zu bringen. Dieser Geist war durch die Schule Westeuropas gegangen und hatte die Abkehr vom Religiösen, die das vorige Jahrhundert aus­zeichnete, durchaus mitgemacht, Dieser Geist erachtete die Religion als die Stütze der Schwachen und verurteilte die religiöse Ausprägung, die die Zukunftshoffnungen der jüdischen Nation erhalten hatte, als Asyl der Tatenlosigkeit, als Brecher der vollbringenden Manneskraft. Dieser Geist war endlich durch die Schule Bismarcks gegangen und rühmte sich vor allem seines Wirklichkeitssmnes, der ein Ziel mit sicherem Auge erspäht und unverrückbar festzuhalten weiß.Im kommenden Jahr in Jerusalem!": der religiöse Sehnsuchtsschrei einer leidengewohnten Nation, an den himmlischen Vater gerichtet, mußte zu einer politischen For­derung an die Adresse der irdischen Machthaber umgestaltet werden, denn Jerusalem liegt in Asien und nicht im Himmel.

Es ging ein tiefer Widerstreit durch das Wesen der zionistischen Urheber. Der Religion im allgemeinen völlig entfremdet, fand sich dennoch das ungewollte Weben ihrer Seele auf seltsame (atavistische) Weise mit der National­religion des Judentums sympathisch verstrickt. Ihr selbst­bewußtes Geistesschaffen aber mußte in dem leidigen An­spruch dieser Nationalreligion, allbeherrschender Faktor im Leben der Nation zu sein, eine durchaus verwerfliche Kom­petenzüberschreitung erblicken, die im Grunde vielleicht schon

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