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Kulturverhältniffe.
Finden ſich große Kulturmißverhältniſſe als Ausnahmen vor, haben einzelne Ruſtikalbeſitzer ſich nicht zur durchſchnittlichen Kulturſtufe ihres Standes erhoben, ſo mögen ſie ihrem Geſchicke erliegen. Mag die Wirthſchaft zum Verkauf kommen, und dadurch in tüchtigere Hände, ſelbſt in die eines grö— ßeren Landbeſitzers gelangen, es wird daraus dem Gemeinwohl kein Nachtheil erwachſen. Ein Anderes iſt es aber, ſobald der ganze Stand der Ruſtikalbeſitzer unverhältnißmäßig niedriger gebildet iſt, als der der größeren Landbeſitzer; ſobald dieſen ganz überwiegende Kulturmittel zu Gebote ſtehen, während die Landgemeinden noch von faſt allen Hülfsmitteln entblößt ſind, die ihnen die Fähigkeiten verleihen können, welche zur ordnungsmäßigen Erfüllung ihres Berufs unerläßlich ſind, die ſie daher in den Stand ſetzen, Verlegenheiten zu vermeiden, welche möglicherweiſe Zwangsverkäufe zur Folge haben, alſo der Ueberlegenheit der größeren Landbeſitzer Angriffspunkte darbieten können. Und dieſes Mißverhältniß in der Vertheilung der Kulturmittel wird zur Zeit nicht in Abrede zu ſtellen ſein. Während Gymnaſien, Akademieen und Univerſitäten ſeit Jahrhunderten an der Bildung der Stände arbeiten, die durch ihren Wohlſtand und durch die Unabhängigkeit ihrer Stellung befähigt waren, von jenen Hülfsmitteln Gebrauch zu machen; während deren umfaſſende Wirkungskreiſe, die Genüſſe einer reichen Literatur, der geſellige Verkehr, die Reiſen in das Ausland ꝛc. in den ſo bevorzugten Familien einen Schatz von Intelligenz, Sittlichkeit und Thatkraft erzeugten, und durch die Erziehung in den Familien fortpflanzten, findet ſich von allen dieſen großartigen Bildungsmitteln in den Ruſtikalfamilien auch keine Spur vor. Von allen Schätzen, die ſeit Jahrtauſenden durch ein reges Kulturleben erzeugt worden, iſt ihnen bisher kaum etwas Ans deres zu Theil geworden, als ihre heutige Freiheit und das Eigenthum ihrer Höfe— Geſchenke, die, wie wir geſehen, bisher nur dornenreiche Früchte getragen haben. Zwar hat die preußiſche Regierung, beſonders in den letzten