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Die Landgemeinde in Preußen / von Moritz von Lavegne-Peguilhen
Seite
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Gemeindeordnung. 95

der Nation gefährdet werden müſſe. Sobald Jedermann gewohnt iſt, die Regierung überall leitend und anordnend in die innerſten Verhältniſſe des Vereins- und Gemeinde­lebens eingreifen zu ſehen, hört man endlich in der Nation auf, über das Gemeinwohl nachzudenken, und in Fällen all gemeiner Landeskalamität, oder gar bei Familienunglück, die ſich darbietenden Rettungsmittel aufzuſuchen und anzu­wenden. Im blinden, fataliſtiſchen Glauben, und voll inne­rer Kraft- und Thatloſigkeit, erwartet man Alles von den Staatsbehörden; dieſe ſollen überall Hilfe und Rettung ſchaffen, der Souverän wird mit Supliken und Bettelbrie­fen überſchüttet, der Charakter der Nation herabgewürdigt ꝛc. alles, weil die Staatsbehörden ihren Reſſort überſchritten, weil ſie in das Familien⸗, Wirthſchafts- und Gemeindeleben eingedrungen ſind. Es darf endlich nicht überſehen werden, daß die autonomiſche Verwaltung, die Selbſtregierung der Gemeinden, zur höheren Entwickelung der nationalen Kräfte unerläßlich iſt; daß die wirthſchaftliche, geiſtige und ſittliche Bildung, daß Gemeingeiſt und Vaterlandsliebe vornehmlich in dem regen Gemeindeleben ihre Grundlage finden.

Wenn daher der Grundherr nicht das Intereſſe, der Staat nicht die Mittel hat, um die Verwaltung in den emanzipirten Gemeinden zu leiten, ſo wird man dieſen die Wahrnehmung ihrer Intereſſen ſelbſt überlaſſen müſſen. Es würde dies geſchehen müſſen, ſelbſt wenn die Noth nicht dazu zwänge, weil jeder Organismus zu Grunde gehen oder doch verkrüppeln muß, ſobald die freie Entwickelung ſeiner innern Lebensthätigkeit gehindert wird; weil die geiſtige wie die ſittliche Rationalkultur gefährdet erſcheinen, ſobald das freie Gemeindeleben geſtört wird. Vielſeitige Thätigkeit iſt die Grundlage der harmoniſchen, der geſunden Kultur; Ge­meingeiſt und Vaterlandsliebe ſind dauernd nur durch ein reges Gemeindeleben zu erhalten; dies iſt der wahre Born der Freiheit, die ſelbſt bei despotiſcher Staatsform möglich iſt, fo lange das innere Familien: und Gemeindeleben un­angetaſtet bleiben.