Einleitung.
In der Ruhmeshalle der Geisteshelden des jüdischen Volkes hat Mosche ben Maimun, genannt Maimonides, einen ehrenvollen, hervorragenden Platz. Maimonides war für seine Zeit und ist zum Teil auch für unsere Zeit der „Führer“ der zwischen Glauben und Wissen, zwischen Tradition und Forschung, zwischen religiöser Überlieferung und philosophischer Erkenntnis Schwankenden, der Wegweiser in Fragen der religiösen Praxis und der ethischen Entscheidung.
Der 800jährige Geburtstag dieses großen Schriftgelehrten und tiefschürfenden Denkers, der die religiösen und ethischen Offenbarungen der Bibel und des Talmud mit den Lehren der philosophischen Forschung zu vereinen oder zu einem Ausgleich zu bringen ehrlich bemüht war, bietet allen geistig Interessierten einen willkommenen Anlaß, sein Leben und seine Werke, seine geistige Persönlichkeit und sein literarisches Lebenswerk zu betrachten. Aus solcher Betrachtung können auch wir in der Gegenwart mit ihren andersgearteten und doch wesensähnlichen Problemen geistige, religiöse und ethische Anregungen in Hülle und Fülle gewinnen. Denn im Leben und Wirken unseres Führers Maimonides spiegelt sich ein lehrreiches Stück allgemeiner, im besonderen aber jüdischer Geistes- und Kulturgeschichte wieder, die zwar inhaltlich durch die fortschreitende Wissenschaft bereichert wurde, im wesentlichen aber sich immer wiederholt und sich darstellt als ewiger Kampf zwischen Tradition und Forschung, zwischen Herz und Kopf.
Der große Sohn des jüdischen Volkes wird im mohammedanischen Spanien geboren, im frommen Elternhause in den Dogmen und Riten des Judentums unterwiesen und erzogen, wurde im hebräischen Schrifttum, in Bibel und Talmud, heimisch und geht bei Arabern, bei gelehrten Mohammedanern in die Schule der griechischen Philosophie. Dann muß er vor dem Glaubensfanatismus mohammedanischer Eroberer fliehen, flieht von Ort zu Ort, von Land zu Land, zieht sich im fremden Land in die geistige Heimat des Judentums, in sein heiliges Schrifttum, zurück, erforscht, erläutert, sichtet und ordnet systematisch die gesetzlichen Vorschriften des Judentums und beleuchtet seine Glaubenslehren mit der Fackel der arabisierten Philosophie des denkgewaltigen Aristoteles. Daneben übt er einen praktischen Beruf aus, den ärztlichen, der mit der Wissenschafts aufs innigste zusammenhängt, heilt Kranke an Körper und Seele, hält Vorträge, beantwortet Anfragen von einzelnen und Gemeinden in religiösen, rituellen und rechtlichen Angelegenheiten, belehrt und beruhigt Gläubige und Zweifler und erweist sich so durch seine Persönlichkeit und durch sein Lebenswerk als Lehrer und Führer des Judentums, als edler, geistiger Typus des jüdischen Volkes.
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