Das Lebensideal.
Fassen wir die in diesem Gleichnisse enthaltenen Ansichten zusammen, so ergibt sich als Lebensideal: das Hinstreben zu Gott und die Vereinigung mit Gott durch die „tätige Vernunft“. Dieses Lebensideal kann nur durch fortgesetzte Denkarbeit errungen und durch eine fromme und kontemplative Lebensführung festgehalten werden. Im Anschluß an die Worte des Propheten Jirmejahu (8, 22. 23) entwickelt dann Maimonides seine Ansicht über die Güter. Es gibt vier Lebensgüter, nach welchen die Menschen streben: 1. Äußere Lebensgüter — „Reichtum“. Sie haben jedoch mit dem eigentlichen Wesen des Menschen nichts zu schaffen, sie sind nur ein vermeintliches Gut und haben nur relativen Wert. 2. Körperliche Vollkommenheit — „Stärke“. Sie steht zwar dem Menschen näher, aber berührt doch nicht sein eigentliches Wesen, da der Körper nur der tierische Teil des Menschen ist.
3. Sittliche Vollkommenheit — „Klugheit“. Sie gehört zum Wesen des Menschen, ist aber nicht Selbstzweck, sondern ein Mittel für das soziale Zusammenleben, für die Wohlfahrt der menschlichen Gesellschaft.
4. Geistige Vollkommenheit. Sie beruht auf der Vernunft, auf dem wahren Wesen des Menschen und besteht in der Erkenntnis der philosophischen Wahrheiten; sie allein begründet seine ewige Fortdauer, die Unsterblichkeit, durch sie hat der Mensch Teil an der Vorsehung, sie stellt die Verbindung zwischen Gott und Mensch her.
Mit dieser Betrachtung schließt das religionsphilosophische Buch More Nevuchim. Dieses Werk hat Anerkennung, aber auch Ablehnung gefunden: Anerkennung, weil es manches Dunkle, Rätselhafte durch das Licht der Vernunft erhellte; Ablehnung, weil es dem Verstände den Primat im Seelenleben zuerkannte und die Macht des Gefühls, die Kraft der Intuition, das innere Erlebnismoment in der Religion verkannte und weil es die Theologie zur Magd der Philosophie machte.
Der „Führer der Verirrten“ hat in der lateinischen Übersetzung auf die großen Theologen der Kirche, auf Albertus Magnus, Thomas von Aquino u. a. eingewirkt. In der Welt des Judentums hat er schwere geistige Kämpfe und seelische Umwälzungen hervorgerufen. Gegen die „Herrschaft der Vernunft“ erhob sich die Macht des Gefühls, gegen den Rationalismus die — Mystik. Und der Kampf der Anschauungen wogt immer noch weiter.
Lebensabend und Tod.
Mit dem Abschluß des „More Nevuchim“ im Jahre 1190 war das geistige Lebenswerk Maimonides vollendet, aber die Lebensarbeit ging weiter, die Arbeit im ärztlichen Dienste am Hofe des Sultan und die für sein Volk. Sie brachte ihm Wertschätzung und Anerkennung, aber auch Verkennung und Angriffe. Gelehrte und Gemeinden in Südfrankreich: Marseille und Lunel, wo Samuel ibn Tibbon, der Übersetzer