Gesetze zu fördern; anderseits das geistige Leben der Menschen durch heilsame theoretische Erkenntnisse über Gott, Welt und Seele zu vervollkommnen. Von diesem Gesichtspunkte aus teilt Maimonides sämtliche Gebote und Verbote der Thora, entsprechend der Einteilung in Misne Tora, in 14 Klassen ein und untersucht sie im Einzelnen auf ihre Gründe und Zwecke hin. Bei den meisten Geboten ist der Grund und der Zweck teils in der Thora selbst angegeben, teils durch die Vernunft klar und deutlich zu erkennen; bei einigen jedoch (z. B. beim Opferkult, bei den Speisegesetzen, den vermischten Gattungen etc.) sind nach Maimunis rationeller Erklärungsmethode teils historische, teils hygienische, teils antiheidnische Gründe anzunehmen. Höher an Wert stehen die theoretischen Erkenntnisse, die philosophischen Lehren. Die Gebote der Religion, der individuellen und sozialen Ethik bilden die Grundlagen für das höhere geistige Wohl und Heil des Menschen. Das ist auch der Grundgedanke der Ethik Maimonides, die der des Aristoteles in vieler Hinsicht gleicht. Diesen Gedanken der Superiorität der theoretischen Erkenntnis kleidet Maimonides in ein Gleichnis: Ein König ist in seinem Palaste. Ein Teil seiner Untertanen befindet sich in der Residenzstadt, ein anderer Teil lebt außerhalb dieser Stadt. Von den Leuten in der Stadt kehren einige dem Palaste des Königs den Rücken zu und streben nach einer anderen Richtung; andere wollen in den Palast und den König besuchen, haben aber bis jetzt nicht einmal die Mauern des Palastes erblickt. Wieder andere kamen bis zum Palast und suchen nun den Eingang. Einige fanden ihn und gelangten in den Vorhof; wieder andere dringen in die inneren Gemächer und sind nun mit dem König in einem Raum, aber erst nach weiterem Bemühen gelingt es ihnen, den König erst aus der Ferne, dann in der Nähe zu erblicken, ihn zu hören oder gar mit ihm zu sprechen. Die Deutung lautet: Die Leute ganz außerhalb der Residenz sind die wilden Völker, die keine Religion haben. Die Leute, die dem Palast den Rücken zukehren, sind diejenigen, welche falschen, irrigen Meinungen folgen und sich immer mehr von Gott entfernen. Diejenigen, die zum Palast des Königs gelangen wollen, aber ihn noch nicht gesehen haben, sind die Unwissenden, welche die Gebote gedankenlos ausüben. Diejenigen, welche um den Palast herurrtgehen und den Eingang suchen, das sind die Gesetzeskundigen, die zwar der Tradition und der Zeremonialgebote kundig sind, die sich aber um die Erforschung der Grundprinzipien der Thora weiter nicht kümmern. Leute, die bereits im Vorhofe sich befinden, sind diejenigen, welche sich mit der Erforschung der Prinzipien der Thora beschäftigen. „Wer aber mt seiner ganzen Geisteskraft nach Vollkommenheit in der Erkenntnis göttlicher Dinge strebt und sich ganz der Gottheit weiht, indem er seine Vernunft dazu verwendet, in dem All der Dinge einen Beweis für das Dasein und Walten Gottes zu finden, der gehört zu denen, welche um den Thron Gottes verweilen.“
21