Urmaterie entstanden (Plato); die Materie ist ewig, Werden und Vergehen sind ewig (Aristoteles). Nach genauer Untersuchung der logischen Gründe pro und contra Ewigkeit der Welt kommt Maimuni zu dem Schluß: die Weltschöpfung sei wissenschaftlich schwer zu beweisen, sie begreife sich aber bei der Annahme des freien Schöpferwillens Gottes, den die Bibel lehrt, viel leichter. Durch den Glauben an den freien Schöpferwillen Gottes erklären sich auch die Wunder, erklärt sich auch das Prophetentum. Das Wesen des Prophetentums ist ein Ausfluß des göttlichen Geistes, der mittelst der „tätigen Intelligenz“ auf die Vernunftkraft und auf die Phantasie einiger Erkorener und Berufener einwirkt. Der Verstand korrigiert dabei die Phantasie. Zur intellektuellen Begabung der Propheten gehört auch moralische Vollkommenheit und als entscheidendes Moment kommt noch die göttliche Berufung hinzu. Alle diese Momente waren in Mosches Prophetentum in vollendeter Weise vereinigt. Mosche war befähigt und wurde daher berufen, im Aufträge Gottes dem Volke Israel, das dazu die geschichtlichen und seelischen Vorbedingungen besaß, eine Lehre und Gesetzgebung zu erteilen, die in sich selbst das Zeichen der Göttlichkeit trägt und den doppelten Zweck verfolgt, die geistige Vervollkommnung und die sittliche Veredlung des Menschen zu fördern. Vom Standpunkte des doppelten Zweckes der Thora untersucht Maimonides in den späteren Kapiteln des III. Teiles des M. N. die Gründe der Gebote und Verbote der Thora.
Wie auf dem Gebiete der Naturerklärung der Streit der Meinungen wogt, ob nämlich für die Naturerscheinungen und Geschehnisse blos der göttliche Wille oder die zwecksetzende göttliche Weisheit als letzter Grund zu gelten habe, so wird auch auf dem Gebiete der Erklärung der Thora schon im Talmud darüber diskutiert, ob das Forschen nach dem Grunde und Zwecke der Gebote nicht abzuweisen sei, da sie in dem göttlichen Willen ihren letzten, oft unbegreiflichen Grund haben. Ist der göttliche Wille der Urgrund aller Dinge und Gebote, dann gibt es für den Menschen nur stummes Schweigen, unbedingten Gehorsam, frommes Tun; ist aber die göttliche Weisheit der ziel- und zwecksetzende Grund alles Geschehens und aller Gebote der Thora, dann heißt es den Gründen der Gebote denkend, forschend nachspüren, der göttlichen Weisheit im Denken und Handeln nahekommen. Denn für das menschliche Tun und Lassen Gründe und Zwecke setzen und bei Gottes Tun und Wirken, bei der Lehre Gottes, Gründe und Zwecke, also Weisheit und höchste Vernunft ausschließen, das hieße doch — sagt Maimonides — die menschliche Intelligenz über die göttliche setzen. Gott hat uns die Vernunft gegeben, damit wir die göttliche Weisheit und die Gründe und Zwecke der Gebote der Thora erforschen. Der Zweck der Lehre und ihrer Gebote ist ein doppelter: einerseits die materielle Wohlfahrt, das bürgerliche, soziale Zusammenleben der Mem sehen durch sittliche Vorschriften, durch Rechtsnormen und humane
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