Anschauungen jenes frommen Eiferers, welche die Gemüter beunruhigten, verfaßte der damals kaum dreißigjährige Maimonides ein Sendschreiben in arabischer Sprache, dessen Titel in der hebräischen Übersetzung: Igeret hasemad, d. h. „Brief über die Religionsverfolgung“, lautet.
Maimonides wendet sich vor allem dagegen, daß das mohammedanische Glaubensbekenntnis, d. h. die erzwungene Anerkennung Mohammeds als Prophet, dem Götzendienst gleichgestellt wurde; er weist auch das harte Urteil, daß jene schwachen Sünder jenen gleichgestellt werden, die der Prophet Jeremia rügt, daß sie sich vor ihrem Götzenbild und gleichzeitig vor dem heiligen Tempel in Jerusalem bücken, entschieden zurück. Es ist doch ein gewaltiger Unterschied, ob einer so tut, weil er wissentlich Gott und das Judentum verleugnet, oder ob einer, der Not gehorchend, eine Moschee besucht und dort schweigend verharrt. Maimonides weist auf die Zeiten in der alten israelitischen Geschichte hin, wo viele freiwillig, ohne Zwang, dem Götzendienst als einer Modesache huldigten, Gott und seine Gebote verleugneten. Dennoch wurden sie von Gott nicht verstoßen, von den Propheten zwar getadelt, aber nicht verdammt. Um wie viel wenger dürfe man — sagt Maimonides — diese Anusim, diese gezwungenen Scheinmohammedaner, die nicht aus niedriger Gewinnsucht, wegen materieller Vorteile, wegen einer glänzenden Karriere, sondern aus der bittersten Not, der Furcht vor dem Tode, das Bekenntnis zu Mohammed sprechen, als Gottesleugner, als Sünder, als ungültig zur Zeugenschaft betrachten und behandeln. Nach dieser kritischen Abwehr, aus der auch das milde Herz des großen Verstandesmenschen spricht, wendet sich Maimonides dem positiven Teil seines Sendschreibens zu.
Schon zur Zeit der Religionsverfolgung unter dem römischen Kaiser Hadrian wurde in einer Versammlung der Gesetzeslehrer in Lydda zum Beschluß erhoben, daß man lieber den Märtyrertod erleiden soll, als eine der drei Hauptsünden begehen: Götzendienst, Blutschande, Mord. Positiv ausgedrückt heißt das: der Glaube an den einig-einzigen Gott, die Wahrung der Familienreinheit (Keuschheit) und die Achtung vor dem Menschenleben bilden die Grundgebote der jüdischen Religion. Lieber den Tod erleiden, als eines dieser Gebote verletzen. Dieser Grundsatz gilt für alle Zeiten, ob Religionsfreiheit oder Glaubenszwang herrscht, an jedem Orte, ob öffentlich oder im geheimen. Die anderen religiösen Gebote (Thorastudium, Sabbat- und Feiertagsgebote, Speiseverbote u. a.) dürfe man in der Zeit der Verfolgung sogar öffentlich übertreten, um nicht getötet zu werden, denn es steht geschrieben im IIL Buche Mose, Kap. 18, V. 5: „Beobachtet meine Gesetze und Rechte, die der Mensch übe, um durch sie zu leben“ aber nicht, fügt der Talmud hinzu: um ihretwegen zu sterben (vachaj bahem, velo sejamut bahem). Man solle aber — so wird empfohlen, nicht geboten — aus Liebe zu Gott und seiner h. Lehre, um den Namen Gottes zu heiligen (KiduS haisem), selbst bei Todesandrohung, jedes religiöse Gebot ausüben. Ein solcher Opfer-
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