Maimonides erließ das gewünschte Sendschreiben in arabischer Sprache: Igeret Téman — der Brief nach Jemen, in der hebräischen Bearbeitung „Petach tikwa“ (Eröffnung der Hoffnung) genannt. ln warmen, von Mitgefühl und Mitverstehen getragenen Porten weist Maimonides auf die schweren Leiden von außen und von innen, in alter und neuer Zeit hin, die mit zum göttlichen Erziehungplane gehören, und empfiehlt das Heilmittel, das in der Treue zum angestammten Glauben, zum Glauben an den Beruf Israels als Träger und Künder der h. Lehre beruht. Maimonides entwirft dabei eine Art religiöser Geschichtsphilosophie, indem er dem Sinn der jüdischen Geschichte, der Tragik derselben nachspürt. Der Sinn der Geschichte Israels liegt in seiner h. Lehre, in seiner Berufung zur Geistigkeit, zur Heiligung, zur Versittlichung des Lebens. Darum beneiden, hassen und verfolgen die Völker, deren Sinn auf Machtpolitik, auf materielle Güter gerichtet ist, das Volk Gottes ob seiner h. Lehre. Sie verfolgen es bald mit Feuer und Schwert, wie z. B. Amalek, Nebukadnezar, Titus und Hadrian, bald mit sophistischer Überredungskunst, wie z. B. Perser, Griechen und Römer, bald unter der Maske einer neuen Offenbarung, wie Christentum und Islam, um dadurch eine religiöse und politische Vorherrschaft zu erreichen, aber stets ohne Erfolg, denn Israel und seine h. Thora bleiben dem göttlichen Plane gemäß ewig bestehen. Der Unterschied zwischen Judentum einerseits und Christentum und Islam anderseits sei etwa der zwischen einem lebendigen Original und seinen Abbildungen und Nachbildern. Maimo- niedes ermahnt sodann mit sanften Worten, in der äußeren und seelischen Not festzuhalten am Glauben, auf dem der ewige Bestand des jüdischen Volkes beruht. Auch hier faßt Maimonides seine Glaubensartikel kurz zusammen: Glaube an den einzigen Gott, an „die Sendung Mosis“, an die Göttlichkeit und Unveränderlichkeit der Thora. Leicht war es ihm, die biblischen Verse, die spielerischerweise — wie wir schon oben sahen — auf Mohammed gedeutet wurden, in ihrem wahren, schlichten Wortsinn zu erklären. Schließlich wendet er sich gegen die falschen astrologischen Berechnungen der Ankunft des Messias und des Endes der Leidenszeit und fordert zur Opferbereitschaft, wenn es sein muß zur Auswanderung, zum Verzicht auf materielle Wohlfahrt und zur Wahrung der geistigen und moralischen Güter des Judentums auf.
Dieser Trostbrief Maimonides machte einen tiefen Eindruck und war von wohltätigem Einfluß auf die Gemüter der jemenitischen Juden, die trotz allen Leiden am Judentum festhielten. Und als dann Maimonides zu Ansehen und Einfluß am ägyptischen Hofe gelangte, setzte er sich auch für seine bedrückten Glaubensgenossen in Jemen mit dein ganzen Gewicht seiner edlen, einflußreichen Persönlichkeit ein und konnte eine Milderung und Minderung ihrer Leiden erwirken. Dafür erwiesen sie ihm eine große Ehrung. In das Kadisch-Gebet, das ursprünglich kein Gebet für die Seelen der Verstorbenen, sondern ein Huldigungsgebet für Gott nach beendeter Talmudlektion war, fügten sie bei dem Absatz: uvechajé kol bét Jisraél (beim Leben des ganzen Hauses Israel)
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