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Der Talmud vom Standpunkte des modernen Judenthums / von Emanuel Schreiber
Entstehung
Seite
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Autorität, von dem Throne unverdienter Unfehlbarkeit, auf den ihn unſere Orthodoxie leider noch jetzt zu ſetzen nicht aufhören kann, unbarm­herzig herabgeſtürzt worden. Allein was ſchadet das? Umſomehr ge­winnt er vom kulturhiſtoriſchen Standpunkte aus betrachtet. Schon vor ſechzig Jahren ſagte Johlſon in feinem Religionsbuche:Der Talmud iſt kein Geſetzbuch, ſondern eine Sammlung verſchiedener Erklärungen und oft ſehr abweichender Meinungen, theils über Gegenſtände des Cultus und der Ritualgeſetze, theils über Eheſcheidung und Rechtsſachen, die jetzt mehrentheils unanwendbar find.

Nicht zu leugnen iſt, daß ſophiſtiſche Haarſpalterei, ſilbenſtechende Kleinigkeitskrämerei, ſpitzfindige Dialektik, kaſuiſtiſche Rabuliſterei und ſcholaſtiſche Grübelei eine viel zu große Rolle im Talmud ſpielen. Des­gleichen hat er aus dem Parſismus ſehr viele alberne, abergläubiſche Vor­ſtellungen von Dämonen, Teufeln, Geiſterſpuk und Engeln aufgenommen, die geradezu einen entſchiedenen Proteſt gegen das moſaiſche Judenthum bilden(Levit. 19. 31, und Deut. 13). Ebenſowenig läßt ſich in Abrede ſtellen, daß eine ganz erkleckliche Anzahl inhumaner, intoleranter und gehäſſiger Aeußerungen gegen Glieder anderer Religionen im Talmud vorkommen. Allein alle, die ſich etwa dadurch verletzt fühlen ſollen, können wir indeß auf das solamen miseris, socios hahuisse malorum verweiſen, denn er iſt anderſeits wieder ſo tolerant in ſeiner Intoleranz, daß er auch gegen Israeliten, die nicht um vulgär zu ſprechenſtreng orthodoy find, nicht um ein Haar milder verfährt. So ſpricht er es in aller Seelenruhe ausden Leugner(der talmudiſchen Autorität, zu dem wir zu gehören beiſpielsweiſe die Ehre haben) ſtoße man in die Grube hinab und ziehe ihn nicht wieder herauf(Aboda Sara 26, b). Solche Individuen dürfe man um's Leben bringen, geht es nicht öffentlich an, ſo thue man's durch Liſt. Iſt nämlich ein Solcher in einen Vrunnen gefallen, worin ſich eine Leiter Jefindet, jo ziehe man die Leiter unter dem Vorwande weg:ich werde damit mein Kind vom Dache herabholen und ſie dir dann zurückbringen(ibid.). Alſo jeder orthodoxe Jude hat das Recht, einen Reformjuden um's Leben zu bringen. Und da ſchon derjenige zu den Reformjuden gehört, der am Sabbath ſein Taſchentuch in der Taſche trägt und es nicht als Gürtel um den werthen Leib bindet, ſo dürften die meiſten Juden Deutſchlands von den Orthodoxen getödtet werden nach talmudiſcher Deduktion. Was Wunder, daß die Intoleranz gegen Götzendiener noch größer iſt? Wir betonen Götzendiener, denn die Chriſten find mit dem WorteGoi nicht gemeint. Als unum pro