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Der Talmud vom Standpunkte des modernen Judenthums / von Emanuel Schreiber
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welche nur in Negationen groß iſt, in geiſtvoller Weiſe polemiſiren. Zu dieſen gehört in erſter Reihe jene faſt ſchauerlich klingende Geſchichte von Acher. Vier Männer, fo wird erzählt, traten durch die Pforte des Paradieſes. Der erſte ſchaute und ſtarb, der zweite ſchaute und verlor den Verſtand, der dritte zerſtörte die jungen Pflanzen. Einer nur ging glücklich hinein und hinaus. Der erſte war Ben Aſai, der zweite Ben Soma, der dritte Eliſa ben Abuja, der vierte Akiba. Eliſa ben Abuja, den man füglich auch den Fauſt des Talmud nennen kann, hat den Zorn der Rabbinen hauptſächlich deshalb erregt, weil er, während er zu Füßen ſeiner Lehrer ſaß,profane Bücher, wie den Homer u. dgl. in ſeinen Kleidern ver­borgen hatte. Mehr aber noch, weil er es mit dem Ceremonialgeſetz nicht genau nahm(er ritt am Sabbath⸗ und Verſöhnungstage), den im Talmudſtudium begriffenen Kindern den Rath gab, lieber ein Handwerk zu lernen, und endlich die Lehren von der göttlichen Vergeltung und Auf erſtehung der Todten in Zweifel zog. Draſtiſch heißt es von ihmer erwürgte die Schriftgelehrten und tödtete deren Schüler. Trotz ſeines Skeptizismus ſtieg er zu den höchſten Stufen der Erforſchung des Geſetzes empor, fiel davon ab, wurde als Apoſtat excommunizirt und ausgeſtoßen, ſo daß das Volk ſeinen Namen nur mit Schreck und äußerſtem Abſcheu ausſprach. Als er am Verſöhnungstage an den Trümmern des Tempels vorüberritt, ſo, erzählt die Sage, hörte er eine Stimme aus dem Aller­heiligſten, gleich dem Girren einer Taube: Kehret um, Kinder, die ihr ge­fehlt, Euch Allen wird vergeben, ausgenommen Eliſa ben Abuja, der meine Kraft zwar kennt, ſich aber mir widerſetzt. Kurz vor ſeinem Tode wird ſein Schüler R. Meir zu ihm gerufen. Dieſer fragt: Gehſt Du in Dich; worauf Eliſa fragt: Werden die Reuigen in Gnaden aufgenommen? Jawohl, erwiderte der Schüler. Darauf fing Eliſa bitterlich zu weinen an und verſchied. Bald wird dem R. Meir mitgetheilt, daß über ſeines Lehrers Grab fort und fort Flammen ſchweben, da breitete er ſeinen Mantel über das Grab aus und wollte ſelbſt verdammt ſein, um ſeinen Lehrer von der Verdammniß zu erlöſen, da erloſch die Flamme. Auf die an ihn gerichtete Frage: Wem willſt Du nahe ſtehen, Deinem Vater oder Deinem Lehrer antwortete er: Erſt kommt der Lehrer, dann der Vater.(Jeruſch. Chagiga Fol. 7.)

Die Tendenz dieſer ſagenhaft ausgeſchmückten Erzählung iſt offenbar die, daß einerſeits Wiſſen und Geiſtesſchärfe allein ohne Gemüthstiefe und Glauben dem Menſchen keine wahre Befriedigung und Glückſeligkeit gewähren, ihn vielmehr ruhe⸗ und raſtlos umhertreiben und zur Beute