die wohl aus dem Jahre 1908 stammt, ich ging damals noch nicht zur Schule. Auf dem Platz hinter dem Rönneschen Geschäftshaus hatte die Jugend Schneehütten erbaut, und mein Vater war auf den Gedanken gekommen, diese Hütten mit Filztieren zu besetzen. Eis- und Braunbären, die von einem Hunde angebellt wurden, und die die Jungen mit Luftgewehren schossen. Als alles fertig war, holte man den alten Gräfe, der das Bild aufnehmen mußte. Im Vordergrund ein kleiner Schlitten, auf dem, glaube ich, Martin Opfermann sitzt, dahinter ängstlich angeklammert ich selbst. Vor dem Schlitten an einer Leine sechs Jungen, darunter Ernst Japcke und Fritz Markmann, der spätere Oberbürgermeister von Magdeburg. Als die Aufnahme fertig war, ging es im Galopp los. An einer Kurve stürzte der Schlitten um, und ich brüllte die ganze Umgegend zusammen. Damals, also vor dem ersten Weltkrieg, iebte man verhältnismäßig still in der Straße. Ach, man kannte sie alle, die lieben Nachbarn und man war als kleiner Knirps auch gern bei ihnen gesehen. Der Butterhändler Hermann Neumann, Fleischermeister Robert Maneke, der ewig alte Schuster Jacob oder Bäcker Japcke, in dessen Backstube man zur Weihnachtszeit mit der Mutter zum Brezelbacken ging. Hatte man sonst nichts Wichtigeres zu tun, so setzte man sich zu Piepenröhl auf die Bank,, die er unter der Linde stehen hatte, und ließ sich von ihm erzählen. Sattlermeister Ernst Heinemann könnte noch erwähnt werden, aber er verließ schon 1910 das Hohe Ende, an seine Stelle trat Tante Toni, die dann bis zu ihrem Tode dort gelebt hat. Manchmal durfte man mit Bäcker Japcke Schwäne füttern, denn er betreute das Schwanenhaus am Flußufer. Fast jeder war damals ein Stück Original, wobei der alte Fritz Doevel nicht vergessen sein darf. Er war Friseurmeister und begrüßte jeden Kunden mit „Tag, Herr Nachbar*'. Einmal machte ihn ein Kunde darauf aufmerksam, daß wohl von Nachbarschaft keine Rede sein könne, denn er komme aus Mittelamerika. Aber der lange Doevel sah ihn nur an und meinte sehr trocken: „Soviel ich weiß, liegt das auch noch auf dieser Erde.“
Damals waren die Geschäfte noch bis 8 Uhr, sonnabends sogar bis 9 oder 10 Uhr geöffnet. Viel gekauft wurde sicher nicht, aber es gab so manche heitere Plauderei. Für gewöhnlich fand sie vor den Sdiaufenstern des Rönneschen Geschäftes statt. Luise Neumann, die am hohen Ende 9 ein Putzmachereigeschäft unterhielt, war immer dabei, ich erinnere mich ihrer sehr deutlich, wenn sie mit ihrer lauten Stimme sprach und dabei majestätisch ihren rotblonden Kopf hob, Tante Dora, Wilhelm Röhl, der Eiserne, ein alter Graubart, der uns gegenüber wohnte, Hermann Neumann und zumeist auch der alte Quasebarth, der eine Ofenfabrik besaß. Sicher wurde alles durchgekaut, genau so, wie es heute immer wieder geschieht.
Ich sagte schon, daß wir Kleinen in allen Häusern gern gesehen waren, nur zum alten Böttchermeister Warig durften wir nicht kommen, der warf uns immer mit großem Krach hinaus. Aber das tat weiter nichts, denn seine
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