Heft 
(1955) 7
Seite
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PAUL GANZLIN

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Seltener hört man in letzterer Zeit etwas über unsere einheimischen Raben­arten in der neueren Literatur; ja, mancher Leser dieser Zeilen wird sich zuerst vielleicht sagen, Krähen und Elstern seien doch so alltäglich bei uns; lohnt es sich da überhaupt, über diese allgemein bekannten Vögel zu schreiben?

Wohl kaum eine Vogelgruppe wird von der Allgemeinheit so verkehrt ein­geschätzt, falsch klassifiziert wie gerade unsere Raben. Da meinen die einen, sie gehören zu denAasvögeln, während andere wieder glauben, sie zu den Raubvögeln zählen zu müssen. Nun, mit den Rauvögeln (man sagt besser Greif- oder Stoßvögel) haben sie weder im Körperbau noch in der Schnabelform etwas gemein. Ebenfalls ist ihre Wesensart eine ganz andere. Raben gehören zu der Ordnung der Singvögel (Oscines), deren charakte­ristisches Merkmal ein aus sechs Muskelpaaren gebildeter Stimmapparat am unteren Kehlkopf ist. Und trotzdem diese grobe Stimme, dieses Ge­krächze, wird man sagen. Wer sich aber näher mit ihnen beschäftigt, wird bald eines anderen, Besseren belehrt werden. Alle unsere Rabenarten lernen beim näheren Umgang mit den Menschen mehr oder weniger gut mensch­liche, aber auch tierische Laute nachahmen. Ihr Singmuskelapparat ist also von Natur aus wohl ausgebildet. Häherarten imitieren bereits im Freien die Gesänge vieler kleinerer Singvögel. Daß man ihnen aber vorher die Zunge lösen muß, um ihnen menschliche Laute beizubringen, ist ein Irrtum, eine unmenschliche Grausamkeit. Es ist wohl selbstverständlich, daß einem einwandfreien, gesunden Vogel bedeutend leichter etwas beizubringen ist als einem an der Zunge verstümmelten.

Alle heimischen Rabenarten leben in Monogamie; einige (Kolkrabe) wahr­scheinlich sogar in lebenslänglicher Dauerehe. Von Gestalt sind sie kräftig und gedrungen; der starke, harte, an der Spitze leicht gekrümmte Schnabel hat etwa die Länge des Kopfes. Die Nasenlöcher sind bei einigen Arten mit aufwärts gerichteten Borsten bedeckt, sonst aber frei, nur die Zügelbefiede­rung ist bei allen unseren heimischen Rabenarten borstig. In der Wesensart sind einige Arten gesellig, andere wiederum leben paarweise oder streichen vereinzelt, unstet durch ein größeres Gebiet. Alle Rabenarten sind kluge, verschlagene Vögel, immer gleich bereit, Bussarde, Habichte und Eulen zu belästigen und danach zu stoßen. Als wehrhafte und fluggewandte Vögel sind sie wohl in der Lage, diesen Strauchrittern das Leben zu verbittern. Sie sind mit ihren Unterfamilien und Untergattungen, wozu auch die Paradies-, Gärtner- und Laubenvögel gehören, mit Ausnahme von Neusee­land, über die gesamte Erde verbreitet.

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