Heft 
(1955) 7
Seite
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Der größte Vertreter unserer heimischen Rabenvögel ist der alte germa­nische Wodansvogel, der Kolkrabe, ist doch sein Körpervolumen dem eines kleineren Huhnes gleich. Kräftig von Gestalt, mit stark gebautem Körper und schwarzem, stahlblau, auf den Flügeln grünlich glänzendem, derbem Gefieder schreitet er bedächtig, stets auf seine Sicherheit bedacht, daher. Seine Stimme ist ein tiefes, rauhes Kraw; trägt er doch auch den derb­klingenden wissenschaftlichen Namen Corvus corax. In vielen Teilen unse­rer Mutter Erde findet man ihn; in Asien, fast in ganz Afrika, Nordamerika und über ganz Europa bis zum hohen Norden ist er verbreitet. Zu seinem Aufenthalt wählt er hier bei uns und im Norden unseres Erdteils mit Vor­liebe bewaldete Gegenden, gehört aber hier in der Prignitz bereits zu den Seltenheiten. Mir ist er in der Karstädter Umgebung vor Jahren nur einmal begegnet, obgleich er in der Prignitz stellenweise Brutvogel ist. Etwas häufiger traf ich ihn bereits im mittleren Schweden an, wo ich ihn mehrere Male in der Gegend von Gävle an der Ostseeküste Muscheln und anderes Getier aufnehmen sah.

So häufig die Kolkraben dort an den Küsten und im Innern Schwedens auch sein mögen, so schwierig ist es zuweilen, ihren augenblicklichen Auf­enthalt ausfindig zu machen, da sie ein sehr unstetes Leben führen und über das von ihnen bewohnte weite Gebiet anscheinend mehr sporadisch verbreitet sind. Ganz anders war seine Wesensart in den tropischen und subtropischen Gebieten, auf der Halbinsel Sinai und besonders in Ober­ägypten, wo ich ihn zu allen Tageszeiten paarweise antraf. Im Dorfe Karnak bei Luksor (Oberägypten) hatte ein Kolkrabenpaar seinen Standort, welches ich mehrere Monate lang in aller Ruhe beobachten konnte. Da man sie seitens der Araber wenig oder gar nicht beachtete, waren sie wenig scheu, ja, sie waren für ein Rabenpaar recht zutraulich. Tagsüber tummelten sich beide zwischen den Tempelruinen, oder sie hockten auf den Vor­sprüngen des alten Gemäuers, um etwas Genießbares zu ergattern. Nichts entging ihrem Späherauge, nur allzubald hatten sie etwas entdeckt, sei es nun eine Ratte oder eine Springmaus. Mehrere Male sah ich auch, wie ein 2030 cm langer Waran bewältigt wurde. Aber es kam auch vor, daß beide die Nester der dort sehr häufigen, stellenweise halbdomestizierten, an den Häusern oder im Oleandergebüsch brütenden Palmtauben (Turtur senegalensis) plünderten. Übergriffe an sonstigem Hausgeflügel waren unbekannt. Im großen und ganzen war ihnen der Tisch dort das ganze Jahr über so reichlich gedeckt, daß Nahrungssorgen für ein Rabenpaar überhaupt nicht in Frage kamen.

Die Brutzeit begann dort, wie auch weiter südlich in Nubien (in den Ortschaften Shellal und Derr, wo ich ebenfalls Gelegenheit zur Beobach­tung hatte), im Februar, so daß man bereits im März in den Nestern, welche meist auf Felsvorsprüngen oder in den Nischen der alten Tempel angelegt waren, fast vollständig befiederte Junge vorfand. In Nubien ge-

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