Heft 
(1957) 4
Seite
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Einzelexemplaren soll es noch heute solche geben in Angst und Schrecken zu versetzen. Und doch tauchte er noch einmal auf und versetzte diesmal die Einwohner von Guhlsdorf in nicht geringe Aufregung:

Die langgestreckte Seitenmoräne der Eiszeit, unser heutiger Eierberg, bietet einen sehr reinen und grobkörnigen Kies, der für Betonarbeiten besonders geschätzt wird. Und so hatte man sich bei der Bergung vom Süd­hang her im Laufe der Jahrzehnte mit einer Schlucht allmählich dem Kamm des Hügels und damit der Gemarkungsgrenze genähert. An einem Sommertag des Jahres 1937 geschah es dann, daß beim Graben die nach­rutschenden Erdmassen nicht nur Baumstubben, Moospolster und Heide­krautbüschel mit sich rissen, sondern daß dem entsetzten Bauern ein voll­ständiges menschliches Skelett vor die Füße rollte.

Natürlich war zu dieser Zeit das Geschehen um Michael Schreib aus Klein- Gottschow schon seit vielen Generationen in Vergessenheit geraten. Kein Mensch wußte mehr etwas von der einstigen Hinrichtung da oben. Wie kam es also zu dieser merkwürdigen Grabstätte? War hier ein Mord ge­schehen, handelte es sich um einen Gefallenen etwa aus der Zeit der französischen Besetzung durch Napoleon? So rätselte man im Dorf von Mund zu Mund. Die Polizei besichtigte die Skeletteile, die in einem Papp­karton im Spritzenhaus aufbewahrt wurden und stellte fest, daß sie der Fall wegen des hohen Alters der Knochen nicht interessiere. Das konnte natürlich die Guhlsdorfer nicht befriedigen, und sie rätselten weiter und fanden die Lösung.

Leider kann ich mich nicht mehr erinnern, wer die geniale Idee zuerst verkündete und damit den Schlußpunkt setzen wollte unter ein Stücklein Weltgeschichte, das seit fast 130 Jahren noch seiner Aufklärung harrte: Hier war der englische Sondergesandte am Wiener Hof, der Lord Bathurst, der 1809 in Perleberg auf geheimnisvolle Weise verschwunden war, um­gebracht und verscharrt worden! Nehmen wir es den Guhlsdorfern, die so ganz an der Grenze des Kreises Perleberg ihr besdieidenes Leben führen, nicht übel, daß sie den Quitzowern, in deren Nähe schon 1910 sich höchst­wahrscheinlich das Rätsel um den englischen Lord durch einen Skelettfund aufgelöst hatte, den Rang streitig machen wollten! Immerhin zeigten sie, wenn auch mit diesem Trugschluß, daß sie geschichtliches Interesse be­saßen. Und so war man nicht so sehr enttäuscht, als nach geraumer Zeit die folgende Eintragung im Kirchenbuch von Klein-Gottschow entdeckt wurde und damit die Aufklärung des rätselhaften Guhlsdorfer Skelett­fundes brachte:

Anno 1701

Michael Schreib, Bauers und Gotteshaus Mann, al die weil er seinen Nachtbaren Dieterich Brunstens mit einem Brodt Messer entleibet, ist er aus geführet, und nach urtheil und recht, offen tl: Vor Guhlst. enthauptet, d. 30. Xbr.

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