Heft 
(1957) 4
Seite
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JOHANNES BECKER, GUHLSDORF

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Man schrieb den 30. Dezember 1701. Ein Wintertag wird es gewesen sein, wie er damals bei stabileren Klimaverhältnissen zur Regel gehört haben mag. Schnee deckte Felder und Wiesen, und der Eierberg, ein langgezogener Hügelrücken zwischen Klein-Gottschow und Guhlsdorf, sah mit seinem beschneiten Hang und den überzuckerten Kussein, Birken und Ginster­büschen wohl im Winterkleid ebenso reizvoll aus, wie er uns noch heute besonders im Sommer und Herbst eine Augenweide bietet. Doch die Schar Menschen, die an diesem Tage auf dem alten Fahrweg von Klein-Gottschow in Richtung Guhlsdorf durch den Schnee stapfte, hatte keinen Blick für landschaftliche Schönheit. Ein grausiger Auftrag hatte die Männer der Justiz- und Strafvollzugsbehörde Richter, Büttel und Scharfrichter auf diesen Weg gebracht. Und Neugierde hatte sicher so manchen Bürger Klein-Gottschows bewogen, dem Zug zu folgen. Wurde doch von den Bütteln ein Mann geführt, der ihr stilles Dörfchen durch eine schreckliche Untat in entsetzte Aufregung gebracht hatte und nun seinen letzten Weg schritt. Der Bauer und Gotteshausmann Michael Schreib hatte im Herbst des Jahres 1700 seinen Nachbarn Dietrich Brunst mit einem Brotmesser erstochen. Über die Beweggründe zu der Tat gibt die Chronik keine Auskunft.

Das Gericht hatte das Todesurteil gesprochen, und heute sollte die Tat gesühnt werden. Wenige hundert Meter von Guhlsdorf entfernt wandte sich der Zug vom Wege ab und erklomm die Höhe des Eierberges. Hier erreichte man schnell die Gemarkungsgrenze zwischen beiden Dörfern, die dem Kamm des Hügelrückens folgt. Denn dem Delinquenten sollte auch die letzte Ruhe in der Erde des Heimatdorfes versagt sein. Schnell waltete hier der Scharfrichter seines Amtes, und wenige Meter jenseits der Grenze wurde dem Enthaupteten das Grab geschaufelt. Der Gerechtigkeit war Genüge getan. Und als der Schnee schmolz, breiteten sich bald wieder Moos und Heidekraut über der kahlen Stelle.

Warum erinnern wir uns jenes Geschehens, das doch nur für die Zeit der damaligen Generation von lokalem Interesse war? Der Beginn des 18. Jahr­hunderts war doch wohl nicht mehr dazu angetan, den vielen Spuk- und Geistergeschichten unserer Heimat eine neue hinzuzufügen! Nein, so war das nicht. Der Michael Schreib geisterte nicht über den Eierberg, seinen Kopf unter dem Arm, um unten am Wege abergläubische Menschen in

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