Heft 
(1955) 9
Seite
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so muß ich dir von dem jetzigen Lauf der Dinge wenigstens etwas erzählen.

In Europa herrschen jetzt der König von Preußen, der Consul Bonaparte, der Kaiser Alexander von Rußland, die Republik England unter ihrem Georg und der deutsche Kaiser Franz Josef, sage, sie herrschen. Denn die übrigen Könige und Republiken werden größtenteils nur geduldet.

O Nachwelt! Wir haben seit Jahren große und einzige Dinge, furchtbare Zertrümmerungen und winzige Auferstehungen gesehen. Die Zeitung fiel uns oft aus der Hand und uns war, als läsen wir einen Roman. Dafür gähne du lieber bei deinen Zeitungen, Nachwelt, das wird dir und der Erde gesunder sein.

Was haben wir nicht alles erlebt, auch ein neues Jahrhundert haben wir gesehen und mit Glockengeläute, mit Schmausen und Predigten gefeiert.

Von dem Letzten kann ich dir eine Probe geben, vielleicht lächelst du über die alte Mode, noch im Anfang des 19. Jahrhunderts das Volk durch Pre­digten zu erbauen, sowie über das arme Volk, das der Belehrung durch Predigten bedurfte. Glückliche Nachwelt!

Wir tragen runde Hüte und spitze Schuhe, dicke Halstücher und dünne Kleider, lange Schleppen und kurze Westen. Wir kennen 16 verschiedene Duftarten, 18 Hauptplaneten und 5 Sinne. Wie viel mehrere wirst du nicht entdeckt haben! In der Theologie herrscht der Tolerantismus, in der Justiz der Clementismus, in der Medizin die Erregungstheorie und der Galvanismus. In der Philosophie Kant und in der schönen Welt Goethe, Wieland, Schiller. Im Sommer stieg die Hitze bis 28° Reaumur und der letzte Winter hat die Weizensaat vernichtet und Klopstock uns entrissen. 1 4 1 *. 3. 4ft>3 Nach einer Aufzählung der Stadtoberhäupter fährt der Verfasser nicht ohne eine kleine Bosheit gegen die damalige Schloßherrin fort: Doch mehr als dieses alles möchte dich vielleicht unsere jetzige Modetracht interessieren. Gern täte ich dir den Gefallen und legte dir auch davon Proben bei, aber ich bin weder ein Maler noch ein Mann für die Moden. Vielleicht entschließt sich die Gemahlin unseres Herrn Kirchenpatron,

Frau . . aus der ZeitungFür die elegante Welt dir einige Kupfer mitzuteilen. Möchte sie nur ihr eigenes Bild dir überliefern . .

Die alten Schriften vom Jahre 1793, welche wir im Turmknopf gefunden haben, überliefern wir dir treulich wieder. Der Zahn der Zeit hatte sie schon sehr gebissen und unleserlich gemacht. Und weil denn dieses Schicksal höchstwahrscheinlich auch dieses Blattes sein wird, ehe es die Ehre hat, in deine Hände zu fallen, so gereut mich schier die Mühe, dir mehr zu sagen. Besser ist es und nützlicher, ich gehe hin und steche meinen Spargel.

Leb also wol, liebe Nachwelt! Und wünsche unserem Staube Frieden.

Einst kommen wir zusammen im großen, großen Saal der Ewigkeit, da wollen wir uns mehr erzählen.

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