Heft 
(1955) 9
Seite
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FRIEDEL HARRASCHAIN

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Die meisten Besucher Wilsnacks, die das kleine Städtchen zum ersten Male sehen, wundem sich über die Größe seiner Kirche, deren Silhouette schon von weitem das Stadtbild beherrscht. AlsWilsnacker Wunderblutkirche war sie vor etwa 500 Jahren das Ziel vieler Wallfahrer aus ganz Europa. Mit ihrem Bau wurde im Jahre 1384 begonnen, nachdem die alte Dorf­kirche, die an derselben Stelle gestanden hatte, bei einem Überfall Heinrichs v. Bülow bis auf den Turm ein Raub der Flammen wurde. Der damalige Priester Johann Cabuz fand mit den überlebenden Bauern Wilsnacks zunächst Aufnahme in dem Nachbardorf Gr.-Lüben.

Dort behauptete er, in einer Nacht dreimal eine Stimme gehört zu haben, die ihm befahl, in der zerstörten Kirche die Messe zu lesen. Hierbei ent­deckte er dann angeblich auf drei Hostien, die in der Kirche geblieben waren, je einen Tropfen Blut, das nun als sichtbar gewordenes Blut Christi angesehen und verehrt wurde. Schnell drang die Kunde von diesemMira* kel durch das Land und bald strömten in unvorstellbarem Ausmaße die Pilgerscharen herbei, die sich durch Anrufung desWunderblutes Gene­sung ihrer körperlichen oder seelischen Leiden erhofften. Durch ihre Opfergaben, durch den Verkauf von Kerzen, Abzeichen usw. und durch Ablaßhandel konnte der Bau der neuen gewaltigen Kirche ermöglicht werden.

Sie war ursprünglich sogar in doppelter Länge geplant, wie es ihr weiter­geführtes Fundament bewies, das beim Errichten des heutigen Rathauses zu Tage trat.

Gegen das angeblicheWunderblut, das so viel Verehrer an sich zog, daß der Chronist von einer wahrenWilsnacksucht spricht, erhoben auch sehr bald Zweifler und Gegner ihre Stimme. Ein erbitterter Kampf für und wider dasWunderblut wurde durch viele Jahre innerhalb der katho­lischen Kirche geführt, bis endlich im Jahre 1552 der erste evangelische Prediger Wilsnacks Joachim Ellefeld dieWunderbluthostien ver brannte und den Wallfahrten damit ein Ende setzte.

Die Kirche ist als dreischiffige Hallenkirche in Kreuzform erbaut. Mächtige Säulen und schlanke Strebepfeiler tragen das gotische Kreuzgewölbe, das sich bis zu einer Höhe von etwa 28 Metern schwingt. Im Langhaus (58 m Länge) sind an beiden Außenwänden der Seitenschiffe zugemauerte Rund­bögen sichtbar. Hier waren zur Zeit der Wallfahrer Beichtstühle und kleine Kapellen den verschiedenen Heiligen geweiht.

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