FRIEDEL HARRASCHAIN
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Die meisten Besucher Wilsnacks, die das kleine Städtchen zum ersten Male sehen, wundem sich über die Größe seiner Kirche, deren Silhouette schon von weitem das Stadtbild beherrscht. Als „Wilsnacker Wunderblutkirche“ war sie vor etwa 500 Jahren das Ziel vieler Wallfahrer aus ganz Europa. Mit ihrem Bau wurde im Jahre 1384 begonnen, nachdem die alte Dorfkirche, die an derselben Stelle gestanden hatte, bei einem Überfall Heinrichs v. Bülow bis auf den Turm ein Raub der Flammen wurde. Der damalige Priester — Johann Cabuz — fand mit den überlebenden Bauern Wilsnacks zunächst Aufnahme in dem Nachbardorf Gr.-Lüben.
Dort behauptete er, in einer Nacht dreimal eine Stimme gehört zu haben, die ihm befahl, in der zerstörten Kirche die Messe zu lesen. Hierbei entdeckte er dann angeblich auf drei Hostien, die in der Kirche geblieben waren, je einen Tropfen Blut, das nun als sichtbar gewordenes Blut Christi angesehen und verehrt wurde. Schnell drang die Kunde von diesem „Mira* kel“ durch das Land und bald strömten in unvorstellbarem Ausmaße die Pilgerscharen herbei, die sich durch Anrufung des „Wunderblutes“ Genesung ihrer körperlichen oder seelischen Leiden erhofften. Durch ihre Opfergaben, durch den Verkauf von Kerzen, Abzeichen usw. und durch Ablaßhandel konnte der Bau der neuen gewaltigen Kirche ermöglicht werden.
Sie war ursprünglich sogar in doppelter Länge geplant, wie es ihr weitergeführtes Fundament bewies, das beim Errichten des heutigen Rathauses zu Tage trat.
Gegen das angebliche „Wunderblut“, das so viel Verehrer an sich zog, daß der Chronist von einer wahren „Wilsnacksucht“ spricht, erhoben auch sehr bald Zweifler und Gegner ihre Stimme. Ein erbitterter Kampf für und wider das „Wunderblut“ wurde durch viele Jahre innerhalb der katholischen Kirche geführt, bis endlich im Jahre 1552 der erste evangelische Prediger Wilsnacks — Joachim Ellefeld — die „Wunderbluthostien“ ver brannte und den Wallfahrten damit ein Ende setzte.
Die Kirche ist als dreischiffige Hallenkirche in Kreuzform erbaut. Mächtige Säulen und schlanke Strebepfeiler tragen das gotische Kreuzgewölbe, das sich bis zu einer Höhe von etwa 28 Metern schwingt. Im Langhaus (58 m Länge) sind an beiden Außenwänden der Seitenschiffe zugemauerte Rundbögen sichtbar. Hier waren zur Zeit der Wallfahrer Beichtstühle und kleine Kapellen den verschiedenen Heiligen geweiht.
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