Heft 
(1955) 9
Seite
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sind keine Armen- und Bauernschulen, sondern Schulen zur Entwicklung der Keime eines immer in sich fortlebenden, innig verbundenen Menschen­vereins.Nicht von der Höhe der Bildung einzelner, sondern von einer allgemein verbreiteten Bildung hängt das Wohl des Staates ab.

Keiner der Schulpolitiker hat vor Harnisch das Problem der Einheits­schule so klar erfaßt und ausgesprochen wie er.In die Volksschulen gehören die Kinder vom sechsten Jahr, wes Standes und Ranges die Eltern auch sind, denn der Stand und Rang erbt sich doch wohl nicht auf die Kinder fort?Freilich kommt hier immer der wichtigste Stein des Anstoßes, daß der Sohn des Tagelöhners neben dem des Kaufmanns usw. sitzt. Kann man aber wissen, ob nicht der Sohn des Tagelöhners dereinst ein tüchtiger Kaufmann und der Sohn des Kaufmanns ein wackerer Tage­löhner wird? Wir sollten doch endlich zurückkommen von dem Vererben des Standes und Ranges. Daß die Kinder pöbelhaft würden, ist eine grobe Beleidigung der ungebildeten Volksklasse. Man verkennt, daß es hohen und niederen Pöbel gibt. Ein solches Ineinanderleben würde im Gegenteil viel Gutes und Herrliches erzeugen. Wer seine Kinder nicht in die Volks­schulen schicken will, erklärt dadurch, daß er nicht zum Volke gehört. Wer nicht zum Volke gehören will, gehört zum Gesindel.

Zu dem Problem der Schulhoheit des Staates nimmt Harnisch vor 140 Jahren in folgenden Ausführungen Stellung:Die Erziehung der Jugend ist des Staates wichtigstes Geschäft. Je vollkommener im Staate die A Erziehung der Jugend ist, desto vollkommener wird der Staat, desto voll­kommener das Volk. Der Staat muß deshalb der Erzieher der Jugend sein, oder Erziehung ist Sache des Staates.

Der Staat muß dahin streben, daß tüchtige Schulen da sind, daß jeder in den öfffentlichen Schulen die Bildung erhält, die ihn zum Menschen und Volksglied macht. Er muß daher diese Schulen selbst einrichten und unter seiner Leitung und Obhut haben, stets bestimmen, was und wie gelehrt werden soll. Keinem soll es bei Verlust seines Bürgerrechtes gestattet sein, die Kinder aus den öffentlichen Schulen zu nehmen, wenn Geist und Körper für Menschlichkeit und Vaterland gebildet werden.

Diese Grundsätze klingen heute so einfach und sind für uns so selbstver­ständlich. Welches berechtigte ungeheure Aufsehen mußten sie aber da­mals errregen?

Dr. Wilhelm Harnisch liebte die Heimat, seine Vaterstadt. Zum Andenken an seinen Vater, Christoph Harnisch, stiftete er zu seinen Lebzeiten 100 Thlr. unter dem NamenChristoph-Harnisch-Stiftung. Für die Zinsen sollten Lehrmittel für die Wilsnacker Schule angeschafft werden. Diese Summe hat Harnisch in seinem Testament um 250 Thlr. vermehrt. Sie sind am 11. November 1864, drei Monate nach seinem Tode, gezahlt worden. Leider ist die großherzige Stiftung nach dem ersten Weltkriege in der Inflation in ein Nichts zerflossen.

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