Heft 
(1.1.2023) 115
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48 Fontane Blätter 115 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Aus der Frühzeit der Fontane-Philologie. Bertha Eleanor Trebein(1874–1963) Rudolf Muhs Als älteste Fontane-Forscherin gilt gemeinhin Helene Herrmann(1877– 1944) mit ihrem Aufsatz über Effi Briest aus dem Jahre 1912 1 , und als frü­hesten fremdsprachlichen Beitrag hat Helen Chambers 1997 die Studie des britischen Literaturwissenschaftlers Kenneth Hayens aus dem Jahre 1920 zitiert. 2 Beides ist jedoch unrichtig. Schon eine der ersten Dissertationen zu Fontane überhaupt war nicht nur auf Englisch, sondern auch von einer Frau verfasst, nämlich der amerikanischen Germanistin Bertha Eleanor Trebein. Ihre 1915 an der New Yorker Columbia University eingereichte und ein Jahr später im Druck erschienene Studie über Theodor Fontane as Critic of the Drama ist jedoch diesseits wie jenseits des Atlantiks kaum rezipiert wor­den. 3 Deutscherseits dürften dafür nicht zuletzt Sprachhürden verantwort­lich gewesen sein, vor allem aber der Umstand, dass der Erste Weltkrieg den wissenschaftlichen Austausch mit den Vereinigten Staaten zunächst unterbrach und dann auf lange Zeit hemmte. Auf den ersten Weltkrieg ist auch die geringe Beachtung des Buches in Amerika selbst zurückzuführen, wo jede Form von deutscher Kultur nachhaltig in Verruf geriet. Für Bertha Trebein sollte dies das vorzeitige Ende einer vielversprechenden Karriere bedeuten, wie sie Frauen an deutschen Universitäten damals noch ver­schlossen war. Neben dem Vergleich von weiblichen Entfaltungsmöglichkeiten im deut­schen und amerikanischen Hochschulwesen um 1900 wirft eine Rekon­struktion der Entstehungs- und(ausgebliebenen) Wirkungsgeschichte von Bertha Trebeins Studie über Fontanes Theaterkritiken zugleich Schlaglich­ter auf eine Reihe weiterer, miteinander verbundener Themenkomplexe wie die Chancen und Hürden interkulturellen Wissenstransfers oder die Ge­schichte der Germanistik in den Vereinigten Staaten. Und schließlich liefert der Lebensweg von Bertha Trebein, auch wenn die am Rande miteinbezo­genen Fälle von Helene Herrmann und Charlotte Jolles im Einzelnen anders gelagert waren, ein weiteres Beispiel dafür, wie tief Weltkrieg und Natio­nalsozialismus in die ohnehin mühsame Laufbahn der ersten Generation