68 Fontane Blätter 115 Dossier: Fontanes Fragmente. Fortsetzung Wiedergefunden. Textgenetische und narratologische Anmerkungen zu einem Erzählfragment Theodor Fontanes Christine Hehle Theodor Fontanes Erzählfragmente bieten aufschlussreiche Einblicke in seine Arbeitstechnik und seinen kreativen Prozess, gerade weil es sich bei ihnen um Schreibprojekte handelt, die nicht zum Abschluss in Form eines diskursiven – fortlaufenden, ausformulierten – und schließlich publizierten narrativen Textes gekommen sind. Um verschiedene Aspekte am Schnittpunkt von Editionsphilologie, Textgenetik und Narratologie zu diskutieren, die mich beschäftigen, wähle ich als Textbeispiel das Fragment Wiedergefunden, an dem Fontane zwischen 1877 und 1884 arbeitete. 1 Er entwarf darin eine seiner zahlreichen Ehe(bruchs)geschichten. Das Projekt weist Verbindungslinien zu Allerlei Glück(1866; 1877–1879) auf und teilt einige wichtige Motive und Figurencharakteristika mit Cécile(1886/87) und Effi Briest(1894/95); Fontane plante jedoch eine kontrafaktische Handlungsentwicklung mit Happy End: Aus einer ›glücklichen‹, aber nicht ›glanzvollen‹ Ehe bricht die Frau aus, um die Maîtresse eines Prinzen zu werden. Jahre später beendet sie diese Beziehung, begegnet ihrem Mann wieder und sie werden erneut ein Paar. Die Handlung spielt sich in der»Krimkrieg-Zeit« (1853–1856) oder zwischen 1865 und 1872 ab(vgl. Z. 74 und 262–263). 2 Am Beispiel von Wiedergefunden möchte ich folgenden Fragen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – nachgehen: • Welche Konsequenzen haben die Gegebenheiten der Überlieferung für die Edition und Analyse des Textes? • Mit welchen Konzepten lässt sich der Prozess der Textgenese be schreiben? • Welche ›Stimmen‹, verstanden als narratologische Funktionen – Autor(rollen), Erzähler, Figuren –, sind im überlieferten Text zu hören?
Heft
(1.1.2023) 115
Seite
68
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