8 Fontane Blätter 118 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes Emilie Fontanes autobiographische Novelle Hrsg. und kommentiert von Klaus-Peter Möller Edition Im Jahre 1827 fanden die Leser der Vossischen Zeitung unter den»Vermischten Anzeigen« folgende:»Sollte ein kinderloses Ehepaar geneigt sein, ein dreijähriges, gesundes, wohlgebildetes Kind(Mädchen) an Kindesstatt anzunehmen, so würde dasselbe, unter Zusichrung einer nahmhaften Summe unter S . 42. zu erfragen sein.« 1 Die nahmhafte Summe zog wahrscheinlich mehr wie das kleine Mädchen und unter S . 42 liefen zahlreiche Briefe ein, die ein kleiner, gutmüthig aussehender Mann 2 in Empfang nahm, und sich dadurch als den Einsender der Annonce documentirte. Aber nicht ihn betraf diese Angelegenheit direct; er war nur der Vermittler. Die Kleine war die»unglückliche Geschichte« 3 einer kleinen Stadt, 4 aus der er gebürtig war, und der Mutter 5 derselben, als Spiel- und Jugendgefährte bekannt, hatte er das Geheimniß seiner Schulfreundin, zugleich mit der Bitte: um Vormundschaft bei dem kleinen Wesen, empfangen. Zu Hause angekommen, öffnete er nacheinander die zahlreichen Zuschriften und wollte sich schon für die eine oder andere entscheiden, die bekannte Namen wohlhabender Leute der Stadt verriethen, als eine Annonce durch die Herzlichkeit mit der der Schreiber den Wunsch aussprach, ein Töchterchen zu besitzen, ihn bestach. Er theilte dieselbe der Mutter des Kindes mit und begab sich mit ihrer Einwilligung zu dem Einsender. Er fand einen Mann in den vierziger Jahren, dem höheren Mittelstande angehörig, [2] halb Künstler, halb Handwerker, mit einer liebenswürdigen, aber kränklichen Frau. 6 Die Angelegenheit mit dem Kinde wurde besprochen und führte zu dem Resultat daß Herr Kummer sich jeder Zeit zu dessen Aufnahme bereit erklärte.
Heft
(1.1.2024) 118
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