Heft 
(1.1.2024) 118
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»Die bloße Macht des Raums« Parr 157 lertsche Prinzip des Briefes als»Gespräch unter Abwesenden« nicht infra­ge gestellt wird. Die historische Breite der Perspektiven lässt immer wieder Briefe als Artefakte in den Vordergrund rücken, etwa als»profitverheißen­de Schau-Objekte«(S. 264). Claudia Bamberg zeigt eindrücklich, wie ver­einzelte Briefe Statussymbol erlangt haben, während Olivia Varwig explizit danach fragt, welche Briefe als verwahrungswürdig zu gelten haben (S. 166). Mit dieser zentralen Frage muss sich die Briefforschung immer wieder auseinandersetzen: Was ist die Bedeutung dessen, was wir tradiert bekommen haben, und wie tradieren wir weiter? Vergleicht man den traditionell angelegten Sammelband mit seiner Per­spektivenvielfalt und der Monographie, so erweist sich der Fokus auf die »Skriptural-Aisthetik« erfrischend, indem er die Auseinandersetzung mit Kanonisierungs- und Tradierungsmechanismen, aber auch mit Subjektau­thentizität(wie etwa in Bunzels Beitrag im Sammelband thematisiert) in den Hintergrund rücken lässt und Briefe unter einem anderen Blickwinkel betrachtet. Diese großen Problemfelder bleiben in der Monographie über­wiegend unbeantwortet und die Anschlüsse an die Briefforschung be­grenzt. Dem Sammelband fehlt zwar die Tragkraft einer starken These, das Mosaik seiner Ansätze ist dafür eindeutig im heutigen Briefdiskurs veran­kert und spiegelt dessen Vielfalt wider. Anne Baillot Maria Antonia Schellstede:»Die bloße Macht des Raums« Detailrealismus und Topographie in Theodor Fontanes L´Adultera . Tübingen: Narr Francke Attempto 2023(Mannheimer Beiträge zur Literatur- und Kulturwissenschaft, Bd. 87). 452 S. 84,00 Der Beitrag zur Forschung, den diese Mannheimer Dissertation leistet, be­steht nicht darin, eine(neue) Realismustheorie zu bieten. Vielmehr geht sie mit einer Reihe bereits vorliegender Arbeiten zur Spezifik von Fontanes Re­alismus(Aust, Amrein/Dieterle, Begemann, Grätz, Ortlieb, Rösch, Schür­mann, Strowick u. a.) davon aus, dass die Bezugnahmen auf realistische, das heißt in der Zeit Fontanes in der empirischen Wirklichkeit anzutreffen­de Details und vor allem Konstellationen von Räumen eine doppelte Funkti­on erfüllen: Sie unterstreichen als ›Realitätsanker‹ die Authentizität des in literarischer Form Dargebotenen, weisen darüber hinaus aber auch einen Bedeutungsüberschuss auf, der genutzt wird, um die Charaktere von Figu­ren zu illustrieren und das Romangeschehen zu kommentieren; abstrakt formuliert: um die Details der empirischen Wirklichkeit in»kalkulierte nar­rative Strategien«(S. 26) einzubinden, womit die empirische zur literarisch bearbeiteten Realität wird.