154 Fontane Blätter 118 Rezensionen Thorsten Gabler: Epistolo/Graphie. Studien zur Skriptural-Aisthetik brieflicher Kommunikation im 19. Jahrhundert(Bettine und Achim von Arnim; Theodor Fontane). Paderborn: Brill| Fink 2021. 277 S.€ 59,00 Norman Kaspar, Jana Kittelmann, Jochen Strobel, Robert Vellusig(Hrsg.): Die Geschichtlichkeit des Briefs. Kontinuität und Wandel einer Kommunikationsform. Berlin, Boston: De Gruyter 2021. 373 S.€ 124,95 In Zeiten der Netzwerkkommunikation stehen Briefe hoch im Kurs. Zum einen zeigen sie exemplarisch, dass Vernetzung nicht auf das Internet gewartet hat, um ihr Potential zu entfalten. Zum anderen verlegen sie den Fokus vom Virtuellen in die reale Welt postalischer Sendungen, wenn auch Briefeschreiben meist als vergriffene Kulturtechnik historisch unter die Lupe genommen wird. Was lässt sich aber in Briefen finden, was woanders nicht vorhanden ist? Der Sammelband Die Geschichtlichkeit des Briefs und die Monographie Epistolo/Graphie bewegen sich zur Beantwortung dieser Frage in einem überwiegend nostalgischen Raum. Der Materialität von Brieflichkeit wird in Fallstudien nachgespürt, die anhand von Abbildungen, Beschreibungen und genauem Close Reading nah am – meist vergilbten – Briefartefakt arbeiten. Dies ist besonders der Fall bei der Monographie Gablers. Das Werk ist in drei Kapitel gegliedert: Das erste befasst sich mit einem antiken, theoretischen Essay zur Briefkommunikation, das zweite macht eine Fallstudie zur Korrespondenz zwischen Bettina und Achim von Arnim aus. Das dritte und letzte Kapitel ist der Briefpraxis Fontanes gewidmet. Briefe und Korrespondenz sind nicht eins – das ist ein blinder Fleck in der Studie Gablers, die der»brieflichen Kommunikation« gewidmet ist und in der Praxis drei sehr unterschiedliche Themen behandelt, welche der Ansatz der»Skriptural-Aisthetik« auf den ersten Blick nur begrenzt unter ein Dach zu bringen vermag. Dem Forschungsstand zur Briefforschung entnimmt Gabler, dass diese sich kaum für die materielle Dimension des Artefakts Brief interessiert – besonders moniert werden dabei digitale Editionen. Hat man einmal diese etwas überraschende Prämisse überwunden und sich auf eine Methode eingelassen, die praxeologische Ansätze mit poststrukturalistischer Theorie verbindet, lassen sich insbesondere dem Teil über Fontanes Briefpraxis einige schöne Analysen entnehmen. Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Kritik am Telegramm, die im Stechlin durch dessen Hauptprotagonisten formuliert wird. Dem Telegramm wird die Materialität des Briefs gegenübergestellt: Dieser bewege sich in bekannten Grenzen von Zeit und Raum, die vom Telegramm ge-
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(1.1.2024) 118
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