Unwiederbringlich.
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Holk sprach noch weiter in diesem Tone, was keinen Zweisel darüber ließ, daß er sich eigentlich freute, Holkenäs auf ein Vierteljahr verlassen zu können. Es War fast verletzend für die Gräfin, und sie würde diesem Gefühl auch Ausdruck gegeben haben, wenn sie sich nicht auf einer ganz ähnlichen Empfindung ertappt hätte. Wie bei vielen Eheleuten, so stand es auch bei den Holk'schen. Wenn sie getrennt waren, waren sie sich innerlich am nächsten, denn es fielen dann nicht bloß die Meinungsverschiedenheiten und Schraubereien fort, sondern sie fanden sich auch wieder zu früherer Liebe zurück und schrieben sich zärtliche Briefe. Das wußte keiner besser, als der Schwager drüben in Arnewiek. Arne stellte denn auch heute wieder feine Betrachtungen über dies Thema an und gab ihnen in ein paar Scherzworten Ausdruck. Aber das war nicht wohlgethan; so sehr es zutraf, was er sagte, so wenig lag es im Wunsche seiner Schwester, diese Dinge berührt zu sehen. Vielleicht war es denn auch dieser Gang der Unterhaltung, was den die leise Verstimmung seiner Frau beobachtenden Holk veran- laßte, die Dobschütz zu einem Spaziergang in den Park aufzufordern, „er habe noch dies und das mit ihr zu besprechen."
Als sie fort waren, sagte Christine zu ihrem Bruder, mit dem sie allein geblieben: „Du mußtest das nicht sagen, Alfred, nicht in seiner Gegenwart. Er hat, wie Du weißt, ohnehin die Neigung, ernste Dinge leicht zu nehmen, und wenn Du ihm darin mit gutem Beispiel vorangehst, so weiß er sich noch was damit und gefällt sich darin, den Freigeist zu spielen."
Arne lächelte.
„Du lächelst. Aber ganz mit Unrecht. Denn ich sage nicht, ein Freigeist zu sein. Ein Freigeist sein, das kann er nicht, dazu reichen seine Gaben nicht aus, auch nicht die seines Charakters. Und das ist eben das Schlimme. Mit einem Atheisten könnte ich leben, wenigstens halte ich es für möglich, ja, mehr, es könnte einen Reiz für mich haben, ernste Kämpfe mit ihm zu bestehen. Aber davon ist Helmuth weit ab. Ernste Kämpfe! Das kennt er nicht. Mit Allem, was Du da sagtest, zu mir kannst Du so sprechen, verwirrst Du ihn bloß und bestärkst ihn nur in Allem, was schwach und eitel an ihm ist."
Arne begnügte sich, etlichen Buchfinken, die während des Gesprächs bis unter die Halle gekommen waren, ein paar kleine Krumen hinzuwerfen, schwieg aber.
„Warum schweigst Du? Bin ich Dir wieder zu kirchlich? Ich habe kein Wort von Kirche gesprochen. Oder bin ich Dir wieder zu streng?"
Arne nickte.
„Zu streng. Sonderbar. Du findest Dich nicht mehr in mir zurecht, Alfred, und wenn das ein Vorwurf ist, und Du meinst es so, so muß ich Dir den Vorwurf zurückgeben. Ich finde mich nicht mehr in Dir zurecht. Du weißt, wie mein Herz an Dir hängt, wie ich, aus meiner Kindheit Tagen her, voller Dank gegen Dich bin, und dies Dankesgefühl habe ich noch. Aber ich kann Dir das Wort nicht ersparen, Du bist ein Anderer geworden in Deinen Anschauungen und Principien, nicht ich. An dem einen Tage bin ich Dir zu sittenstreng, am anderen Tage zu starr in meinem Bekenntniß, am dritten Tage zu preußisch und am vierten zu wenig dänisch. Ich tresf' es in nichts mehr. Und doch, Alfred, all' das, was ich bin, oder doch das Meiste davon, bin ich durch Dich. Du hast