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Deutsche Rundschau.
Zehntes Capitel-
Die Dampfschiffahrt ging gut, und es war noch nicht neun Uhr Abends heran, als der „König Christian" zwischen Nyholm und Tolboden in den Kopenhagener Hafen einbog. Holk stand auf Deck und genoß eines herrlichen Anblickes; über ihm funkelten die Sterne in fast schon winterlicher Klarheit, und mit ihnen zugleich spiegelten sich die Uferlichter in der schimmernden Wasserfläche. Schiffsvolk und Commissionäre drängten sich heran, die Kutscher hoben ihre Peitschen und warteten eines zustimmenden Winkes, Holk aber, der es vorzog, die wenigen Hundert Schritte bis zur Dronningens-Tvergade zu Fuß zu machen, lehnte alle Dienste ab und gab dem Schiffsstewart nur Weisung, ihm sein Gepäck sobald Wie möglich bis in die Wohnung der Wittwe Hansen zu schicken. Dann ging er, nach einem freundlichen Abschiede vom Capitän, das Bollwerk entlang, erst auf den Sanct Annenplatz und von hier aus in kurzer Biegung auf die Dronningens-Tvergade zu, wo gleich links das zweistöckige Haus der Wittwe Hansen gelegen war. Als er hier, nach wenigen Minuten, von der anderen Seite der Straße her seiner Wohnung ansichtig wurde, sah er musternd hinüber und freute sich des sauberen und anheimelnden Eindrucks, den das Ganze machte. Der erste Stock, in dem sich seine zwei Zimmer befanden, war schon erleuchtet und die Schiebefenster, um frische Luft einzulassen, waren ein wenig geöffnet. „Ich wette, es brennt auch ein Feuer im Kamin. Ein Ideal von einer Wirthin." Unter diesen Betrachtungen schritt er über den Damm auf das Haus zu und that mit dem Klopfer einen guten Schlag, nicht zu laut und nicht zu leise. Gleich danach wurde denn auch geöffnet, und Wittwe Hansen in Person, eine noch hübsche Frau von beinah fünfzig, begrüßte den Grasen mit einer Art Herzlichkeit und sprach ihm ihre Freude aus, ihn noch in diesem Jahre wiederzusehen, während sie doch frühestens von Neujahr an daraus gerechnet habe. „Daß Baron Bille, der doch kein Kind mehr, auch gerade die Masern kriegen mußte! Aber so ist es im Leben, dem Einen sein Schad' ist dem Anderen sein Nutz."
Unter diesen Worten war die Wirthin in den Flur zurückgetreten, um, vorangehend, dem Grafen hinaufzuleuchten. Dieser folgte denn auch. Unten an der Treppe aber blieb er einen Augenblick stehen, was, nach dem Anblick, der sich ihm bot, kaum ausbleiben konnte. Die zweite Hälfte des nur schmalen Hausstures lag nach hinten zu wie in Nacht, ganz zuletzt aber, da wo muthmaßlich eine zur Küche führende Thür aufstand, fiel ein Lichtschein in den dunklen Flur hinein und in diesem Lichtscheine stand eine junge Frau, vielleicht um zu sehen, noch wahrscheinlicher um gesehen zu werden. Holk war betrffeon und sagte: „Wohl Ihre Frau Tochter? Ich habe schon davon gehört und daß sie diesmal ihren Ehemann nicht begleitet hat." Die Wittwe Hansen bestätigte Holks Frage nur ganz kurz, muthmaßlich weil sie durch eine sonst Wohl beliebte längere Mittheilung die Wirkung des Bildes nicht abschwächen Wollte.
Oben in den Zimmern, die mit schweren Teppichen ausgelegt und mit Vasen und anderen chinesisch-japanischen Porzellansachen reich, aber nicht überladen geschmückt waren, zeigte sich Alles so, wie's Holk vermuthet hatte: die Lichter