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Deutsche Rundschau.
„Ja," sagte Holk, der jetzt klarer zu sehen anfing, „das ist richtig. Und solche Gefühle muß man respectiren."
Zwölftes Capitel.
Gleich nach dieser Erzählung, die schließlich, als sich's von der verlorenen Perlenschnur handelte, selbst dem leichtgläubigen Holk etwas märchenhaft vorgekommen war, erhob sich Frau Hansen, „um nicht länger zu stören", und sah sich auch nicht weiter zurückgehalten. Nicht als ob Holk's Geduld erschöpft gewesen wäre, ganz im Gegentheil, er ließ sich gern dergleichen vorplaudern, und das süspecte Halbdunkel, in dem Alles ruhte, steigerte eigentlich nur sein Interesse. Nein, es war einfach ein Blick aus die Consoluhr, was ihn von unbedingter weiterer Hingebung an die Erzählungskunst der Wittwe Hansen Abstand nehmen ließ; um elf Uhr war er bei der Prinzessin erwartet, keine volle Stunde mehr, und vorher mußte noch ein kurzer Brief mit der Meldung seiner glücklichen Ankunft an seine Frau geschrieben werden. Es hieß also sich eilen, was er unter Umständen verstand, und fünf Minuten vor elf stieg er in den Wagen, der ihn nach dem nur zwei Minuten entfernten Prinzessinnen-Palais hinüberführte.
Die Zimmer der Prinzessin lagen im ersten Stock. Holk, in Kammerherrnuniform, in der er sich selbst nicht ungern sah, stieg die Treppe hinauf und trat in ein Vorgemach und gleich danach in ein behagliches mit Boiserien und Teppichen reich ausgestattetes, im Uebrigen aber, den Schreibtisch abgerechnet, mit nur wenig Gegenständen ausgestattetes Wohnzimmer, darin die Prinzessin Besuche zu empfangen oder Audienz zu ertheilen pflegte. Der Kammerdiener versprach sogleich zu melden. Holk trat an eins der Fenster, das der Thür, durch welche die Prinzessin eintreten mußte, gerade gegenüber lag, und sah auf Platz und Straße hinunter. Der Platz unten war wie ausgestorben, vornehm, aber langweilig, und nichts ließ sich beobachten als abgefallene Blätter, die der mäßige Wind, der ging, über die Steine hinwirbelte. Ein Gefühl von Einöde und Verlassenheit überkam Holk, und er wandte sich wieder in das Zimmer zurück, um seinen Blick auf die beiden einzigen Porträtbilder zu richten, die die glatten Stuckwände schmückten. Das eine, über dem Polstersopha, war ein Bildniß des Oheims der Prinzessin, des hochseligen Königs Christians VII., das andere, über dem Schreibtisch, das Porträt eines anderen nahen Verwandten, eines ebenfalls schon verstorbenen thüringischen Landgrafen. Der Goldrahmen, der es einfaßte, war mit einem verstaubten Flor überzogen, und der Staub machte, daß der Flor nicht wie Flor, sondern fast wie ein Spinnweb wirkte. Des Landgrafen Gesicht war gut und tapfer, aber durchschnittsmäßig, und Holk stellte sich unwillkürlich die Frage, welche volksbeglückenden Regierungsgedanken der Verstorbene Wohl gehabt haben möge. Das Einzige, was sich mit einer Art Sicherheit herauslesen ließ, war Ausschau nach den Töchtern des Landes.
Ehe Holk's Betrachtungen hierüber noch abgeschlossen hatten, öffnete sich eine ziemlich kleine Thür in der rechten Ecke der Hinterwand, und die Prinzessin trat ein, ganz so wie man sie nach Einrichtung dieses ihres Zimmers erwarten mußte: bequem und beinahe unsorglich gekleidet und jedenfalls mit einer völligen Gleichgültigkeit gegen Eleganz. Holk ging seiner Herrin entgegen, um ihr die bis zu den Fingern in einem seidenen Handschuh steckende Hand zu küssen und