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Deutsche Rundschau.
„Hat er denn hier Verwandte?"
„Ja und nein, wie man's nehmen will. Jnnstetten's gibt es hier nicht, gibt es, glaub' ich, überhaupt nicht mehr. Aber er hat hier entfernte Vettern von der Mutter Seite her, und vor Allem hat er Wohl Schwantikow und das Belling'sche Haus Wiedersehen wollen, an das ihn so viel Erinnerungen knüpfen. Da war er denn vorgestern drüben, und heute will er hier in Hohen-Cremmen sein."
„Und was sagt Dein Vater dazu?"
„Gar nichts. Der ist nicht so. Und dann kennt er ja doch die Mama. Er neckt sie bloß."
In diesem Augenblicke schlug es Mittag, und ehe es noch ausgeschlagen, erschien Wille, das alte Briest'sche Haus- und Familiensactotum, um an Fräulein Effi zu bestellen: „Die gnädige Frau ließe bitten, daß das gnädige Fräulein zu rechter Zeit auch Toilette mache; gleich nach Eins würde der Herr Baron Wohl Vorfahren." Und während Wille dies noch vermeldete, begann er auch schon auf dem Arbeitstisch der Damen abzuränmen und griff dabei zunächst nach dem Zeitungsblatt, auf dem die Stachelbeerschalen lagen.
„Nein, Wille, nicht so; das mit den Schlnsen, das ist unsere Sache . . . Hertha, Du mußt nun die Düte machen und einen Stein hinein thun, daß Alles besser versinken kann. Und dann wollen wir in einem langen Trauerzug ausbrechen und die Düte auf offener See begraben."
Wille schmunzelte. „Js doch ein Daus, unser Fräulein," so etwa gingen seine Gedanken; Esst aber, während sie die Tüte mitten auf die rasch zusammengeraffte Tischdecke legte, sagte: „Nun fassen wir alle Vier an, jeder an einem Zipfel, und singen 'was Trauriges."
„Ja, das sagst Du Wohl, Effi. Aber was sollen Wir denn singen?"
„Irgend 'was; es ist ganz gleich, es muß nur einen Reim auf ,w haben; ,rck ist immer Trauervocal. Also singen wir:
Fluth, Fluth
Mach' Alles wieder gut . . ."
und während Effi diese Litanei feierlich anstimmte, setzten sich alle Vier aus den Steg hin in Bewegung, stiegen in das dort angekettelte Boot und ließen von diesem aus die mit einem Kiesel beschwerte Tüte langsam in den Teich niedergleiten.
„Hertha, nun ist Deine Schuld versenkt," sagte Effi, „wobei mir übrigens einsällt, so vom Boot aus sollen früher auch arme unglückliche Frauen versenkt worden sein, natürlich wegen Untreue."
„Aber doch nicht hier."
„Nein, nicht hier," lachte Effi, „hier kommt so 'was nicht vor. Aber in Constantinopel, und Du mußt ja, wie mir eben einfällt, auch davon wissen, so gut wie ich, Du bist ja mit dabei gewesen, als uns Kandidat Holzapfel in der Geographiestunde davon erzählte."
„Ja," sagte Hulda, „der erzählte immer so 'was. Aber so 'was vergißt man doch wieder."
„Ich nicht. Ich behalte so 'was."