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Deutsche Rundschau.
nicht. „Nein, dabei werd' ich'vollends melancholisch; lieber lesen." Und so suchte sie nach einem Buche. Das erste, was ihr zu Händen kam, war ein dickes, rothes Reisehandbuch, alter Jahrgang, vielleicht schon aus Jnnstetten's Leutnantstagen her. „Ja, darin will ich lesen; es gibt nichts Beruhigenderes als solche Bücher. Das Gefährliche sind bloß immer die Karten; aber vor diesem Augenpulver, das ich hasse, werd' ich mich schon hüten." Und so schlug sie denn ans gut Glück auf, Seite 153. Nebenan hörte sie das Ticktack der Uhr und draußen Rollo, der, seit es dunkel war, seinen Platz in der Remise aufgegeben und sich, wie jeden Abend, so auch heute wieder, auf die große geflochtene Matte, die vor dem Schlafzimmer lag? ausgestreckt hatte. Das Bewußtsein seiner Nähe minderte das Gefühl ihrer Verlassenheit, ja, sie kam fast in Stimmung, und so begann sie denn auch unverzüglich zu lesen. Auf der gerade vor ihr aufgeschlagenen Seite war von der „Eremitage," dem bekannten markgräflichen Lustschloß in der Nähe von Bayreuth, die Rede; das lockte sie, Bayreuth, Richard Wagner, und so las sie denn: „Unter den Bildern in der Eremitage nennen wir noch eins, das nicht durch seine Schönheit, Wohl aber durch sein Alter und durch die Person, die es darstellt, ein Interesse beansprucht. Es ist dies ein stark nachgedunkeltes Frauenporträt, kleiner Kopf, mit herben, etwas unheimlichen Gesichtszügen und einer Halskrause, die den Kopf zu tragen scheint. Einige meinen, es sei eine alte Markgräfin ans dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts, Andere sind der Ansicht, es sei die Gräfin von Orlamünde; darin aber sind beide einig, daß es das Bildniß der Dame sei, die seither in der Geschichte der Hohenzollern unter dem Namen der „Weißen Frau" eine gewisse Berühmtheit erlangt hat."
„Das Hab' ich gut getroffen," sagte Esst, während sie das Buch bei Seite schob; „ich will mir die Nerven beruhigen, und das Erste, was ich lese, ist die Geschichte von der Weißen Frau, vor der ich mich gefürchtet habe, so lang' ich denken kann. Aber da nun das Gruseln 'mal da ist, will ich doch auch zu Ende lesen."
Und sie schlug wieder aus und las weiter: „. . . Eben dies alte Porträt (dessen Original in der Hohenzollernschen Familiengeschichte solche Rolle spielt) spielt als Bild auch eine Rolle in der Specialgeschichte des Schlosses Eremitage, was Wohl damit zusammenhängt, daß es an einer dem Fremden unsichtbaren Tapetenthür hängt, hinter der sich eine vom Souterrain her hinaufführende Treppe befindet. Es heißt, daß, als Napoleon hier übernachtete, die „Weiße Frau" aus dem Rahmen herausgetreten und auf sein Bett zugeschritten sei. Der Kaiser, entsetzt auffahrend, habe nach seinem Adjutanten gerufen und bis an sein Lebensende mit Entrüstung von diesem „mauäit eüä- toan" gesprochen."
„Ich muß es aufgeben, mich durch Lectüre beruhigen zu wollen," sagte Efsi. „Lese ich weiter, so komm ich gewiß noch nach einem Kellergewölbe, wo der Teufel aus einem Weinfaß davongeritten ist. Es gibt, glaub' ich, in Deutschland viel dergleichen, und in einem Reisehandbuch muß es sich natürlich Alles zusammenfinden. Ich will also lieber wieder die Augen schließen und mir, so gut es geht, meinen Polterabend vorstellen: die Zwil-