Effi Briest.
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„Das ist er," sagte Jnnstetten. „Wie gut Du zu Wahlen verstehst."
„Hätte ich sonst Dich?" sagte Esfi und hing sich au seinen Arm.
Das war am 2. December. Eine Woche später war Bismarck in Varzin, und nun wußte Jnnstetten, daß, bis Weihnachten und vielleicht noch drüber hinaus, an ruhige Tage jür ihn gar nicht mehr zu denken sei. Der Fürst hatte noch von Versailles her eine Vorliebe sür ihn und lud ihn, wenn Besuch da war, häufig zu Tisch, aber auch allein, denn der jugendliche, durch Haltung und Klugheit gleich ausgezeichnete Landrath stand ebenso in Gunst bei der Fürstin.
Zum 14. erfolgte die erste Einladung. Es lag Schnee, weshalb Jnnstetten die fast zweistündige Fahrt bis an den Bahnhof, von wo noch eine Stunde Eisenbahn war, im Schlitten zu machen vorhatte. „Warte nicht ans mich, Effi. Vor Mitternacht kann ich nicht zurück sein; wahrscheinlich wird es zwei oder noch später. Ich störe Dich aber nicht. Gehab Dich Wohl und auf Wiedersehen morgen früh." Und damit stieg er ein, und die beiden isabellfarbenen Graditzer jagten im Fluge durch die Stadt hin und dann landeinwärts ans den Bahnhof zu.
Das war die erste lange Trennung, fast auf zwölf Stunden. Arme Effi. Wie sollte sie den Abend verbringen? Früh zu Bett, das war gefährlich, dann wachte sie aus und konnte nicht wieder einschlasen und horchte auf Alles. Nein, erst recht müde werden und dann ein fester Schlaf, das war das Beste. Sie schrieb einen Brief an die Mama und ging dann zu der Frau Kruse, deren gemüthskranker Zustand — sie hatte das schwarze Huhn oft bis in die Nacht hinein aus ihrem Schoß — ihr Theilnahme einflößte. Die Freundlichkeit indessen, die sich darin aussprach, wurde von der in ihrer überheizten Stube sitzenden und nur still und stumm vor sich hinbrütenden Frau keinen Augenblick erwidert, weshalb Effi, als sie wahrnahm, daß ihr Besuch mehr als Störung wie als Freude empfunden wurde, wieder ging und nur noch fragte, ob die Kranke etwas haben wolle. Diese lehnte aber Alles ab.
Inzwischen war es Abend geworden, und die Lampe brannte schon. Effi stellte sich ans Fenster ihres Zimmers und sah auf das Wäldchen hinaus, aus dessen Zweigen der glitzernde Schnee lag. Sie war von dem Bilde ganz in Anspruch genommen und kümmerte sich nicht um das, was hinter ihr in dem Zimmer vorging. Als sie sich wieder umsah, bemerkte sie, daß Friedrich still und geräuschlos ein Couvert gelegt und ein Cabaret auf den Sophatisch gestellt hatte. „Ja so, Abendbrot, ... Da werd' ich mich nun Wohl setzen müssen." Aber es wollte nicht schmecken, und so stand sie wieder auf und las den an die Mama geschriebenen Brief noch einmal durch. Hatte sie schon vorher ein Gefühl der Einsamkeit gehabt, so jetzt doppelt. Was hätte sie darum gegeben, wenn die beiden Jahnke'schen Rothköpfe jetzt eingetreten wären oder selbst Hulda. Die war freilich immer so sentimental und beschäftigte sich meist nur mit ihren Triumphen, aber so zweifelhaft und anfechtbar diese Triumphe waren, sie hätte sich in diesem Augenblicke doch gern davon erzählen lassen. Schließlich klappte sie den Flügel aus, um zu spielen; aber es ging